Dortmund. .
Schnell noch Nachrichten und Termine überprüfen und selbst im Urlaub nie ohne Handy und Laptop unterwegs. Viele Menschen sind ständig im Stress. Burn-Out ist die häufige Folge.
Sehen Sie den Herrn da? Bermuda, Sixpack, ein Glas Soda auf dem Tisch. Oder dort, die Dame: Flip-Flops und Laptop. Was tun sie denn da? Sie beantworten Mails, pflegen ihre Termine oder sind einfach irgendwie very busy, also schwer beschäftigt. Leute sind das, die selbst im Urlaub nicht abschalten. Und wenn sie zu Hause sind, nur den Job im Kopf haben.
Nach Auffassung von Experten gehören diese Leistungsträger zu den Kandidaten, die irgendwann mit Burnout auf der Strecke bleiben: Die an Tinnitus erkranken, hohem Blutdruck, die einen Herzinfarkt erleiden oder die der Schlag trifft. Die Schlafstörungen entwickeln oder ständig über Kopfschmerzen klagen.
Eine Ursache ist Überforderung
Dagmar Siebecke, Arbeitswissenschaftlerin der Technischen Universtität Dortmund (TU): „Überforderung ist ein entscheidender Grund fürs Burnout.” Heute lasse kaum noch einer den Griffel um Punkt fünf fallen, heute seien die Leute von früh bis spät abrufbereit – mit dem Erfolg, dass sie ihre Leistungsgrenze massiv überschreiten. „Engagement” nennen sie es oft selbst. „Selbstausbeutung” heißt das bei den Psychologen. Besonders am Rad drehten die, die oft beneidet werden: die Selbststständigen wie auch die Angehörigen einer neuen Elite – der „Wissensgesellschaft”. Klassisches Beispiel: die IT-Branche. Erfolg gilt hier als Schlüssel zur Existenzsicherung. Sechzig Stunden im Job als völlig normal. Sonst ist der Auftrag futsch.
Reif für die Reha? Jein. Zwar sei jede fünfte Krankschreibung nach Angaben des Bundesverbandes der Betriebskrankenkassen auf psychische Störungen wie Burnout zurückzuführen. Doch gibt es auch Leute, die lösungsorientiert in den Federn liegen und statt Schäfchen nur die Einnahmen der Firma zählen – und dabei mopsfidel bleiben. Doch jeder noch so fröhliche Workoholic brenne irgendwann aus, da sind sich die Experten einig. Die Alarmglocken sollten bimmeln, wenn man keine Zeit (oder Lust) mehr fürs Private hat. Wenn einem das Familienleben auf die Nerven geht, weil man sich zuhause so fühlt wie auf einem fernen Planeten. Da bleibt man doch lieber noch ein Stündchen länger im Büro. Willkommen im Teufelskreis.
Als Erster im Büro
Immer noch mehr tun, immer noch länger unterwegs sein – das sei oft Ausdruck eines Minderwertigkeitsgefühls, so Siebecke. Wer als Erster im Büro ist und als Letzter geht, will meist nur die Aufmerksamkeit des Chefs. Schaut her! Ich bin da! Gibt es einen Kolbenfresser der Seele? Die psychischen Störungen nehmen zu, so notieren die Krankenkassen. Nehmen wir den Krankenhausreport der Barmer GEK. 22 Tage im Jahr feiern die Deutschen wegen psychischer Erkrankungen krank – so lange wie für keine andere Krankheit. Doppelt so lange wie noch 2009 befinden sich Menschen mit psychischen Krankheiten in der Klinik. Seit 1988 haben sich die Fehltage wegen psychischer Störungen um 82, 6 Prozent (!) erhöht.
Generation Fix und Fertig
Da haben wir also die Generation fix und fertig. Die Masse der Beschäftigten, die kaltschweißig den stillen Schrei versendet: Holt mich hier raus. Doch zu der Masse der Anzugträger gesellen sich die Vertreter einer anderen Masse: Die, die nichts zu tun haben – die Arbeitslosen. Nicht reich, dafür aber nicht im Stress? Ein klassischer Irrtum. „Unterforderung birgt ein ähnliches Burnout-Risiko wie Überforderung”, sagt Dr. Hermann Paulus, Chefarzt der Oberbergklinik Weserbergland, Fachklinik für Psychotherapie. Fehle die Wertschätzung, sei die Gefahr groß, in die Depression abzurutschen.
„Ein Arbeitsloser, der zuhause ist und vielleicht von seiner Frau gesagt kriegt, dass er nur im Weg herumsitzt und die Abläufe stört”, fühlt sich extrem verletzt. Burnout sei nicht nur Symptom der Managergesellschaft, sondern auch Zeichen der Abgehängten.
Mehr Lob ist wichtig
Das Gefühl, überflüssig zu sein, könne so erschöpfend sein, dass es zum Nervenzusammenbruch kommt. Paulus: „Das ist wie Aquaplaning für die Seele. Die Menschen sind aus der Spur und geraten ins Rutschen.” Alkohol verschärfe die Lage.
Sicher gebe es Psychotherapien, auch Medikamente und Anti-Stress-Übungen. Doch das Beste sei die Vorbeugung. Deshalb, so die Arbeitswissenschaftlerin Siebecke, müsse man die Wurzel des Übels packen: Chefs sollten sich stärker um ihre Mitarbeiter kümmern, sollten bessere Arbeitsabläufe schaffen – und mehr loben. Damit sei das Problem aber noch nicht gelöst. Warum wir selbst auf Flipflops noch malochen, habe mit der Angst vor dem Jobverlust zu tun. Denn eins sei klar: Wer den Arbeitsplatz sicher hat, würde den Kopf im Urlaub lieber in den Sand als in die Mails stecken.