Hattingen. Hattingen zwischen lebendigem Handel und Leerständen: Jetzt gehen Gastronomie, Handel und andere Mitstreiter in die Offensive. Eine Betrachtung.

Attraktivität durch lebendigen Handel – oder Kaufkraftverlust durch Leerstände? Bei der Betrachtung von Hattingens Innenstadt fällt auf: Auf der einen Seite gibt es jede Menge engagierte Einzelhändler, die Neues in die City einbringen; auf der anderen Seite gibt es leere Ladenlokale an zentralen Stellen, etwa rund um den Obermarkt oder auch im Reschop Carré. Doch jetzt haben sich eine Menge Spinner zusammengefunden, die sich um beides kümmern wollen: die Attraktivität weiter zu steigern und Leerstände mit aller Kraft wegzubekommen.

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Nein, Spinner ist in diesem Zusammenhang nicht despektierlich gemeint, es ist vielmehr von ihnen selbst so gewollt. Denn eines Tages würde die Projektgruppe gerne hören, „dass die Leute sagen, da kommen die Spinner wieder“, erklärt etwa Andrea Kehry-Rudolph (Potteery).

Aktive und Unterstützer der Spinnerei (von links): Andrea Kehry-Rudolph, Georg Hartmann, Jörg Faatz, Dirk Glaser, Uli Wilkes, Astrid Hartke und Laura May Konieczny.
Aktive und Unterstützer der Spinnerei (von links): Andrea Kehry-Rudolph, Georg Hartmann, Jörg Faatz, Dirk Glaser, Uli Wilkes, Astrid Hartke und Laura May Konieczny. © FUNKE Foto Services | Walter Fischer

Ihr Grundstein liegt in der Gruppe „Nettes Hattingen“, ein Netzwerk, in dem sich über die Corona-Jahre mehr als 100 Mitglieder zusammengefunden haben, die den Auswüchsen der Pandemie begegnen wollen. Die Sorge um die eigene Zukunft hat sie zusammengeschweißt; die Angst, dass die Kundinnen und Kunden sich zu sehr an den Online-Handel oder Gastro-Bestell-Services gewöhnt haben und nicht wieder in die Gastronomie und Geschäfte zurückkehren.

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„In einer simplen Whatsapp-Gruppe haben wir Ideen, Probleme, Freude und andere Dinge ausgetauscht“, erklärt Uli Wilkes. Die „Netten Samstage“ sind ein beispielhaftes Resultat, auch im Hintergrund wurden viele Querverbindungen gezeichnet, Empfehlungen untereinander ausgesprochen, um die Kaufkraft in der eigenen Stadt zu halten. Aus dem Stadtsäckel flossen über die Jahre knapp 100.000 Euro ins „Nette Hattingen“.

Die Spinnerei ist ein neues Stadtlabor im Krämersdorf. Hier sind frische Ideen gefragt.
Die Spinnerei ist ein neues Stadtlabor im Krämersdorf. Hier sind frische Ideen gefragt. © FUNKE Foto Services | Walter Fischer

Jetzt also der nächste Schritt: Das Projekt ist als Arbeitsgruppe ans Stadtmarketing angedockt, und im Krämersdorf wurden Räumen angemietet: die „Spinnerei“.

„Wir wollen die Entwicklung der Innenstadt nachhaltig beeinflussen“, so Wilkes. „Wir brauchen aber einen anderen Fokus. Wir wollen zuhören, Leute motivieren, sich zu engagieren.“ Der neue Feierabendmarkt im Steinhagen ist so bereits entwickelt worden.

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„Wir haben junge Läden, die Hoffnung machen, die Strahlkraft haben“, sagt der umtriebige Macher, der in Köln eine Medienfirma hat und in Blankenstein den Kleinkunst-Salon Kleine Affäre erfolgreiche etabliert hat. „Jetzt brauchen wir weitere Konzepte.“

Händler und Gastronomen waren in Hattingen lange Zeit nicht im Austausch

Lange Jahre gab es die nicht mehr in Hattingen. Die Gastronomen beispielsweise haben nach dem Aus ihrer früheren Interessengemeinschaft Altstadt-Gastronomie (IGAG) in den Nuller-Jahren kaum noch miteinander geredet, auch der Handel war nach dem Ende der Werbegemeinschaft nicht unbedingt für Gemeinsinn zu haben.

„Nein, es hat keinen großen Austausch gegeben“, bestätigt Georg Hartmann, Geschäftsführer des Stadtmarketings. „Wir haben uns darauf konzentriert, Menschen in die Stadt zu bringen, ein positives Bild nach außen zu zeichnen. Die Arbeit der Werbegemeinschaft konnten wir nicht übernehmen.“

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Jetzt werden in der Spinnerei Ideen gesammelt, und seien sie noch so verrückt. Da pappt beispielsweise ein Zettel an der Wand, der die Wiederbelebung des Lichtburg-Kinos auf der oberen Heggerstraße anregt. Oder Second-Hand-Konzepte. Oder einen Jugendtreff an der Langenberger Straße. Oder einen Kreativmarkt an der Johannisstraße. Oder. Oder. Oder.

Andrea Kehry-Rudolph vor dem mit Ideen gepflasterten Schaufenster der Spinnerei im Krämersdorf.
Andrea Kehry-Rudolph vor dem mit Ideen gepflasterten Schaufenster der Spinnerei im Krämersdorf. © FUNKE Foto Services | Walter Fischer

„Wir sind auf der Suche nach Hattingens Identität. Kultur ist es offenbar nicht, vielleicht sind es Handwerker“, sagen die Spinner. Deshalb gibt es den Vorschlag, Handwerksbetriebe in die Leerstände der Fußgängerzone zu locken. Handgemachtes Hattingen? „Warum nicht etwa einen kleinen Tischler“, meint Andrea Kehry-Rudolph. „Es geht ja auch um Nachhaltigkeit. Und wir müssen etwas finden, damit die Innenstadt attraktiv ist.“

Infos & Kontakt zur Spinnerei

Die Spinnerei ist eine Art Stadtlabor, in dem die Zukunft Hattingens entwickelt werden soll. Dabei geht es nicht nur um die Gastronomie und den Handel, sondern auch um die Bereiche Sport, Kultur und Soziales. Und um die Stadtteile, die ausdrücklich eingeschlossen werden sollen.

Die neue Initiative will von der Beteiligung vieler Menschen leben. Wer möchte, kann mit dabei sein. Kontakt ist über die Mail-Adresse netteleute@nettes-hattingen.de möglich. Jeder kann beispielsweise für seinen Verein, für seine Gruppe oder seine Initiative in die Spinnerei ins Krämersdorf kommen – kurze Absprache und es wird ein Termin gefunden.

„Es geht die gesamte Stadtgesellschaft an“, betont Uli Wilkes. „Anwohner, Sportler, Kirche, Wirtschaft – alle haben Wünsche. Und nur gemeinsam können wir schauen, was auch machbar ist.“ 30, 40 Gespräche hätten bisher stattgefunden, „und es sind viele Ideen entstanden“.

Der nächste Schritt sind die „Netten Montage“. „Wir stellen im Krämersdorf Stühle raus, wollen gemeinsam draußen sein. Spielen, sprechen oder einfach nur lesen“, berichtet sie. Drei Anwohner kümmern sich darum.

Und so stellen sich die Spinner das künftig vor: Ideen spinnen, Netzwerke schaffen, als Be­rater, als Ideengeber für Projekte. Dies ist erst einmal ein kleines – es dürfen aber gerne mehr werden. Und größere.