Hattingen. Widerstand aus Hattingen: Nikolaus Groß stellt sich gegen die Nazis und wird dafür hingerichtet. Sein Leben und sein ergreifender Abschiedsbrief.
Es ist ein Drama, und es ist Realität: Dieser Mann wird verachtet und verfolgt, verhaftet und verschleppt – und schließlich vernichtet. Nikolaus Groß aus Niederwenigern stellt sich gegen die dunkle Nazi-Macht, er glaubt an Gott, was seinen Mut stärkt. Ist fürsorglich und familiär. Und er wird vom Papst für seine Persönlichkeit und sein Wirken seliggesprochen.
Für die Familie, für die Arbeiter, für Gott: Kein Zweifel, Nikolaus Groß gehört zu den eindrucksvollsten Persönlichkeiten, die diese Stadt hervorgebracht hat. Vor 125 Jahren wird der Wennische Widerstandskämpfer im Dorf geboren.
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„Er schwamm mit im Verrat, muss folglich auch darin ertrinken!”
Zynische Worte, gesprochen vom Volksgerichtshof-Vorsitzenden Roland Freisler am 15. Januar 1945, kurz nachdem er das Todesurteil gefällt hat. Worte, die seine Urteilsbegründung sein müssen, denn eine andere gibt es nicht.
„Wenn von uns etwas verlangt wird, was gegen Gott oder den Glauben geht, dann dürfen wir nicht nur, sondern müssen den Gehorsam (gegen Menschen) ablehnen”, schreibt Nikolaus Groß in seiner Glaubenslehre (1943). Mit Worten wie diesen zieht er den Zorn der Nationalsozialisten auf sich. Nein, die Nazis dulden keine Kritiker, sie richten Groß eine Woche später, am 23. Januar 1945, in Plötzensee hin.
Nikol<aus Groß hat mit seiner Elisabeth sieben Kinder
Nikolaus Groß wird am 30. September 1898 in Niederwenigern geboren. Nach der Volksschulzeit fährt er wie sein Vater unter Tage ein – und beginnt sein Engagement in der katholischen Arbeiterbewegung. Groß wird Mitglied der Zentrumspartei, schließt sich dem Antonius-Knappenverein (heute KAB) Niederwenigern an und steigt bei der Zeitung „Bergknappe“ ein.
Regelmäßig bildet er sich fort, stillt seinen Wissensdurst, strebt nach Neuem. Der Schreibtisch im Büro nebenan hat Groß so aufgestellt, dass er seine Kinder im Hof sieht: Klaus, Berny, Marianne, Elisabeth, Alexander, Bernhard und Leni bereichern sein Leben, verheiratet ist er mit Elisabeth (auch aus Niederwenigern), die er liebevoll „Mutter“ ruft („Unsere Herzen schlagen im gleichen Takt“). Sie sitzen alle zusammen, spielen, musizieren – und beten.
Gegen Mittag des 12. August 1944 wird Nikolaus Groß von der Gestapo in Köln verhaftet. „Vati – wohin gehst Du“, fragt die gerade fünf Jahre alte Leni, nicht wissend, dass es die letzte Begegnung zwischen Vater und Tochter ist. Nach dem Hitler-Attentat vom 20. Juli werden ihm Kontakte zu den Kreisen um Claus Schenk Graf von Stauffenberg nachgesagt – obwohl er damit nichts zu tun hatte.
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Theodor Hüpgens, ein Freund von Nikolaus Groß, überbringt der Familie Anfang Februar 1945 die Todesnachricht – eine offizielle gibt es bis heute nicht.
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Beim Deutschland-Besuch von Papst Johannes Paul II. im Jahr 1987 wird der Name Nikolaus Groß ins Blickfeld der Weltöffentlichkeit gerückt: Der Papst erwähnt ihn zweimal, im Parkstadion Gelsenkirchen und auf der Bottroper Zeche Prosper Haniel – er bezeichnete ihn als „Widerstandskämpfer, der sein Leben für seinen Glauben und die Kirche hingegeben hat“.
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Am 7. Oktober 2001 wird Nikolaus Groß aus Niederwenigern schließlich vor Zehntausenden Gläubigen auf dem Petersplatz in Rom von Papst Johannes Paul II. selig gesprochen.
Abschiedsbrief von Nikolaus Groß: Gott hat mir gewiss eine große Gnade erwiesen
Herzallerliebste Mutter! Ihr lieben und guten Kinder! Es ist St. Agnestag, an dem ich diesen Brief schreibe, der, wenn er in Eure Hände kommt, zusammen mit einem anderen Brief, den ich im November schrieb, Euch künden wird, dass der Herr mich gerufen hat. Vor mir stehen Eure Bilder und ich schaue jedem lange in das vertraute Angesicht. Wie viel hatte ich noch für Euch tun wollen – der Herr hat es anders gefügt. Der Name des Herrn sei gepriesen. Sein Wille soll an uns geschehen. Fürchtet nicht, dass angesichts des Todes großer Sturm und Unruhe in mir sei. Ich habe täglich immer wieder um die Kraft und Gnade gebeten, dass der Herr mich und Euch stark mache, alles geduldig und ergeben auf uns zu nehmen, was er für uns bestimmt oder zugelassen. Und ich spüre, wie es durch das Gebet in mir still und friedlich geworden ist.
Mit inniger Liebe und tiefer Dankbarkeit denke ich an Euch zurück. Wie gut ist doch Gott und wie reich hat er mein Leben gemacht. Er gab mir seine Liebe und Gnade, und er gab mir eine herzensliebe Frau und gute Kinder. Bin ich ihm und Euch dafür nicht lebenslangen Dank schuldig? Habt Dank Ihr Lieben, für alles, was Ihr mir erwiesen. Und verzeiht mir, wenn ich Euch weh tat oder meine Pflicht und Aufgabe an Euch schlecht erfüllte. Besonders Dir, liebe Mutter, muss ich noch danken. Als wir uns vor einigen Tagen für dieses Leben verabschiedeten, da habe ich, in die Zelle zurückgekehrt, Gott aus tiefem Herzen gedankt für Deinen christlichen Starkmut. Ja, Mutter, durch deinen tapferen Abschied hast Du ein helles Licht auf meine letzten Lebenstage gegossen. Schöner und glücklicher konnte der Abschluss unserer innigen Liebe nicht sein, als er durch Dein starkmütiges Verhalten geworden ist. Ich weiß: Es hat Dir und mir große Kraft gekostet, aber dass uns der Herr diese Kraft geschenkt, dessen wollen wir dankbar eingedenk sein.
Manchmal habe ich mir in den langen Monaten meiner Haft Gedanken darüber gemacht, was wohl einmal aus Euch werden möge, wenn ich nicht mehr bei Euch sein könnte. Längst habe ich eingesehen, dass Euer Schicksal gar nicht von mir abhängt. Wenn Gott es so will, dass ich nicht mehr bei Euch sein soll, dann hat er auch für Euch eine Hilfe bereit, die ohne mich wirkt. Gott verlässt keinen, der Ihm treu ist und er wird auch Euch nicht verlassen, wenn Ihr Euch an Ihn haltet.
Habt keine Trauer um mich – ich hoffe, dass mich der Herr annimmt. Hat er nicht alles wunderbar gefügt. Er ließ mich in einem Hause, in dem ich auch in der Gefangenschaft manche Liebe und menschliches Mitgefühl empfing. Er gab mir über fünf Monate Zeit – wahrlich eine Gnadenzeit –mich auf die Heimholung vorzubereiten. Ja, er tat viel mehr: Er kam zu mir im Sakrament, oftmals, um bei mir zu sein in allen Stürmen und Nöten, besonders in der letzten Stunde. Alles das hätte ja auch anders sein können. Es war nur ein Kleines dazu nötig, ich brauchte, wie viele andere nach dem Angriff vom 6.10. nur in ein anderes Haus verlegt werden, und ich hätte vieles und Entscheidendes nicht empfangen. Muss ich nicht Gottes weise und gnädige Fügung preisen und ihm Dank sagen für seine Güte und väterliche Obhut? Sieh’, liebe Mutter, so menschlich schwer und schmerzlich mein frühes Scheiden auch sein mag – Gott hat mir damit gewiss eine große Gnade erwiesen. Darum weinet nicht und habt auch keine Trauer; betet für mich und danket Gott, der mich in Liebe gerufen und heimgeholt hat.
Ich habe für jeden von Euch ein Spruch- oder Andachtsbildchen mit einem persönlichen letzten Wort versehen. Möge es jedem eine kleine Erinnerung sein, auch zu der Bitte, mich im Gebet nicht zu vergessen. Eine große Freude war mir das Sterbekreuz und der Rosenkranz, den Du, liebe Mutter, mir in die Zelle schicktest. Ich trage das Kreuz Tag und Nacht auf der Brust, und auch der Rosenkranz ist mein ständiger Begleiter. Ich werde Sorge tragen, dass Beides in Deine Hände zurückkommt. Auch sie werden Dir Gegenstand lieber Erinnerung sein.
Nun habe ich meine irdischen Angelegenheiten geordnet. Die Tage und die Stunden, die mir bleiben, will ich ganz dem Gebet hingeben. Gott möge sich meiner armen Seele erbarmen und Euch immerdar mit seinem Segen und seiner Gnade begleiten.
In der Liebe Christi, die uns erlöste und unsere ganze Hoffnung ist, segne ich Euch: Dich, liebste, gute Mutter, Dich Klaus und Dich Berny, Dich Marianne und Dich Elisabeth, Dich Alexander, Dich Bernhard und Dich Leni. Ich grüße noch einmal alle teuren Verwandten, meinen Vater und Schwiegervater, meine Geschwister, Schwäger und Schwägerinnen mit ihren Kindern, alle Verwandten, Freunde und Wohltäter. Gott vergelte Euch, was Ihr mir Liebes und Gutes getan habt. Im Vertrauen auf seine Gnade und Güte hofft auf ein ewiges Wiedersehen in seinem Reiche des Friedens. Euer Vater.