Hattingen. Die Apotheken werden am 14. Juni streiken. Im Interview erklärt Apotheker Tasso Weinhold aus Hattingen, warum das auch im Sinne der Kunden ist.
Auch Apotheken in Hattingen werden in der kommenden Woche (14. Juni) streiken. Aus Protest gegen das geplante „Engpässe-Gesetz“. Warum er auch für seine Kunden streikt, erklärt der heimische Apotheker Tasso Weinhold.
Warum sagen Sie, dass Sie für die Kunden mitstreiken?
Weinhold: Die Lieferengpässe führen dazu, dass beispielsweise viele Eltern viele Apotheken abtelefonieren, bevor sie ein Medikament für ihr Kind bekommen. Im Notdienst erleben wir, dass sie teilweise sogar nach Bochum oder Mülheim fahren, um das Medikament abzuholen, da haben sie schon acht, neun Apotheken angerufen. Das ist irrwitzig. Die Lieferengpässe nehmen dramatische Formen an.
Woran fehlt es derzeit besonders?
Antibiotika-Säfte für Kinder sind schwer zu bekommen. Das ist eine Katastrophe. Es fehlen ganz wichtige Medikamente wie Blutdrucksenker, Schilddrüsen-Medikamente und Schmerzmittel. Zwar haben wir inzwischen die Erlaubnis der Behörden, dass wir im Ausland Medikamente auch ohne Rezept ordern dürfen, um sie auf Vorrat zu haben, aber viel bringt das auch nicht. Auch dort gibt es keine Vorräte. Sonst durften wir immer nur Medikamente im Ausland bestellen, wenn das Rezept vorlag. Das dauert aber zwei Wochen, bis es da ist. Theoretisch könnte man auch aus Tabletten Kindersaft herstellen, aber Tabletten gibt es ja auch nicht. Inzwischen geben wir manchmal kleinere Packungsgrößen ab oder greifen auf Medikamente in anderer Dosierung zurück.
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Sind Sie vermehrt dazu übergegangen, selbst zu produzieren?
Ja, wir haben zum Beispiel für Kinder Fieberzäpfchen hergestellt, aber das Problem war dabei, dass die Kinderärzte verunsichert waren, ob sie das überhaupt rezeptieren dürfen. Denn die Eigenherstellung ist teurer, die Zäpfchen kosten zehn bis zwölf Euro statt der üblichen zwei bis drei. Die Ärzte wussten nicht, ob ihnen Regress droht. Bei vielen Rezepten kommt da was zusammen.
Ist die Konkurrenz unter den Apotheken größer geworden?
Natürlich versucht jeder, Medikamente zu bekommen. Aber ich habe den Eindruck, dass es kollegial zugeht. Niemand sitzt auf Medikamenten, wir telefonieren auch für Kunden, verweisen dann an eine Apotheke, die das Medikament hat.
Empfehlung für den Protesttag
Laut einer Nachfrage von Nora Klein von der Paracelsus-Apotheke unter den Apotheker-Kolleginnen und Kollegen beteiligen sich alle Hattinger Apotheken an dem bundesweiten Protesttag am 14. Juni und schließen. Sie kritisiert: Ausbleiben einer angemessenen Honorierung, überbordende Bürokratie, zunehmende Lieferengpässe, Kostensteigerungen, mangelnde politische Unterstützung.
Medikamente vorausschauend vor oder nach dem Protesttag zu besorgen, empfiehlt Nora Klein. Die Notversorgung sei durch Notdienstapotheken gewährleistet: Mark-Apotheke, Karl-Friedrich-Straße 123 in Bochum-Weitmar ( 0234 47 01 12) und Bunsen-Apotheke, Dahlhauser Straße 182, Essen-Horst ( 0201 53 23 05).
Wie hat sich der Arbeitsalltag in der Apotheke verändert?
Das Bestellverfahren ist eigentlich automatisiert. Etwa vier Mal am Tag bekommen Apotheken dann Ware. Jetzt aber müssen wir für die Medikamente viel telefonieren, bei den Händlern nachfragen, um etwas für den Patienten zu sichern. Wir erhalten pro Verpackung, egal wie teuer sie ist, 8,10 Euro, davon bekommen die Kassen zwei Euro. Was wir an die Kasse zahlen müssen, ist kürzlich erhöht worden. Inzwischen geben viele Apotheken auf, weil es sich nicht mehr lohnt.
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Wie kommt es aus Ihrer Sicht zu der Medikamenten-Knappheit?
Das liegt an den knallharten Rabattverträgen, die die Krankenkassen mit den Herstellern haben. (In Rabattverträgen gewährt ein Pharmahersteller einer Krankenkasse einen Rabatt auf den Herstellerabgabepreis für ein Medikament. Dafür sichert die Kasse zu, dass ihre Versicherten im Normalfall nur dieses Präparat erhalten. Anm. der Redaktion). Sie sind übrigens nicht öffentlich, machen aber den Verkauf vieler Medikamente in Deutschland unattraktiv. Wir sparen uns kaputt. Die Arzneimittelkosten machen nur die Hälfte der Krankenkassen-Kosten aus. Die Apotheken weisen schon seit zwei Jahren die Politik darauf hin, dass die Dinge in die falsche Richtung laufen. Das ist nun angekommen, aber es werden nur kleine statt großer Schritte gemacht.
Welcher Schritt wäre notwendig?
Wir brauchen einen Dialog mit der Gesundheitspolitik. Das Thema Rabattverträge muss neu gedacht werden. Im Topf ist genug. Bei sehr teuren, innovativen Medikamenten müsste verhandelt werden, damit auch noch Geld für die Standard-Medikamente übrig bleibt. Wir brauchen eine Umverteilung.