Hattingen. Das Jahrhundert-Hochwasser hat Hattingen vor einem Jahr hart getroffen. Was passiert ist, was passieren sollte – und wie der Stand der Dinge ist.
Das Jahrhundert-Hochwasser im Juli 2021: Es ist die größte Naturkatastrophe, die Hattingen in diesem Jahrtausend trifft, auch die Orkanstürme Kyrill und Ela stehen da weit hinten an. Die Schäden gehen hoch in die Millionen – und noch heute, genau ein Jahr später, sind längst nicht alle beseitigt.
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Der Sprockhöveler Bach steht exemplarisch für das Unheil, das der andauernde Starkregen an diesem 14. Juli 2021 gebracht hat. Noch am Morgen danach, etwa zehn Stunden nach dem Ende der Niederschläge, rauscht er wie ein reißender Fluss durch Bredenscheid und Holthausen in Richtung Ruhr. An der Kratzmühle hat er eine Brücke weggerissen, im Sünsbruch ebenso. Einfach weggerissen, so wie ein Spielzeug, das lose herumliegt.
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Die Ruhr steigt diesmal nicht Zentimeter um Zentimeter an, sondern Meter um Meter. Das Wasser schwappt am Pegelhaus hoch, mal auf sieben Meter, mal etwas darüber. Inzwischen hat sich der zuständige Ruhrverband auf einen Höchststand von 6,99 Metern für diese Tage festgelegt – es ist der höchste gemessene Wert seit Beginn der offiziellen Aufzeichnungen im Jahr 1968.
In Hattingen sind durch ein Ruhr-Hochwasser keine Wohnhäuser gefährdet. Die Campingplätze, klar, die müssen regelmäßig geräumt werden, aber doch keine Wohnungen – dieser Irrglaube vieler wird an diesen Sommertagen ausradiert. An der Schleusenstraße müssen Bewohner mit Booten herausgeholt werden, auf der Winz-Baaker Seite werden Häuser evakuiert, weil Statiker Bedenken anmelden.
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In Stüter reißt der Paasbach vieles mit und spült Unrat über die Fläche. In Elfringhausen bereitet der Deilbach den Anwohnern Sorgen. Viele haben bislang nur im Fernsehen gesehen, was Starkregen für eine Katastrophe anrichten kann – jetzt müssen sie es auf ihrem eigenen Grund und Boden ertragen. Lebenspläne werden zerstört, Menschen kommen aber zum Glück nicht schwer zu schaden.
Aber Hattingen packt an. Allen voran die Ehrenamtlichen der DLRG, der Freiwilligen Feuerwehren und des THW schlagen sich Tag und Nacht um die Ohren, um die Betroffenen in ihrer misslichen Situation zu helfen. Das Engagement in der gesamten Stadt ist groß: Privat-Initiativen werden gegründet, Helfer-Nachmittage organisiert, viele Spenden kommen in wenigen Stunden zusammen.
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„Die Solidarität ist absolut bemerkenswert“, betont etwa der Löschzug Mitte der Feuerwehr. „Das Ausmaß des Schadens wird sich erst nach Rückgang des Hochwassers zeigen“, teilt die Stadt Hattingen mit und zieht Monate später Bilanz: Allein bei ihren Bauwerken belaufen sich die Schäden auf 3,4 Millionen Euro – die vielen Schäden an privatem Eigentum sind um ein Vielfaches höher.
Landrat Olaf Schade lädt im Herbst zur Gewässerkonferenz ein. „Wir müssen uns fragen, wie wir die Menschen besser erreichen können. Durch den Klimawandel müssen wir mit solchen Situationen nicht alle 100 Jahre, sondern in viel kürzeren Abständen rechnen“, sagt der Hattinger.
Die Ruhr und ihr Hochwasser in Hattingen
Eine zuverlässige Messung des Ruhrpegels gibt es erst seit dem Jahr 1968. Sie wird durch den Ruhrverband vorgenommen.
Den höchsten Pegel erreichte die Ruhr dabei am 15. Juli 2021 – nach dem Sturmtief Bernd wuchs der Pegel bis auf 6,99 Meter an. Zuvor lag die höchste Pegelmessung bei 6,16 Metern, die am 23. August 2017 erreicht wurden.
Eine im Jahr 1966 erschaffene Stele nahe der Straße „Am Wallbaum“ erinnert an drei besondere Hochwassermarken: die Möhne-Katastrophe am 16./17. Mai 1943 (9,46 Meter) sowie die Hochwasser wegen Starkregen und Schmelzwasser 1890 (8,60 Meter) und 1909 (7,97 Meter).
Der niedrigste Pegel lag am 8. November 2018 bei 70 cm.
Die Warn-App „Nina“ kommt seitdem viel häufiger zum Einsatz – mal durch die Kreisleitstelle gesteuert, mal durch eine übergeordnete Instanz. Bei der einen oder anderen Wetterlage wird dies aber inzwischen inflationär eingesetzt – eine Unwetterwarnung im Juni wurde beispielsweise 20-mal auf die mobilen Endgeräte ausgespielt. Ein Gewitter hat es in Hattingen und dem EN-Kreis dann aber nicht gegeben. Experten warnen längst davor, dass zu häufiger Einsatz auch dazu führen könnte, dass wichtige Warnungen irgendwann nicht mehr wahrgenommen werden.
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Was auf jeden Fall feststeht: Einen Kompass, also konkrete Pläne, was vorbeugend getan werden kann und wie zukünftig vorgegangen wird, gibt es ein Jahr nach der Katastrophe immer noch nicht.