Hattingen. Mit jedem Tag des Krieges wächst die Angst der in Hattingen lebenden Ukrainer um ihre Familien. Was sie sich am sehnlichsten wünschen.
Mit jedem Tag seit Kriegsbeginn wächst unter den hier lebenden Ukrainern die Angst um Verwandte und Freunde in der Heimat. Sie sind oft den Tränen nah, wenn sie die erschreckenden und herzzerreißenden Nachrichten hören. Gern würden sie ihre Liebsten nach Deutschland holen, doch das wird immer schwieriger.
Ukrainerin in Hattingen spricht mit Bruder im umkämpften Cherson
Vor gut zwei Jahren zog Yrina Grunde der Liebe wegen nach Deutschland, kam mit ihren zwei Kindern hierher. Inzwischen haben sie und ihr Mann Stefan ein gemeinsames Kind. Die Familie bangt vor allem um Yrinas Eltern und ihren Bruder. Der 31-Jährige lebt in Cherson im Südosten des Landes. Die Russen behaupten, die Stadt sei unter ihrer Kontrolle. Der junge Mann hat sich zur Armee gemeldet, hat aber noch keine Einberufung. Seine Verlobte hätte fliehen können, doch ihn zu verlassen, kommt für sie nicht in Betracht.
Derweil hat sich ihr Leben massiv verschlechtert. „Die Menschen dort verbringen die Bombennächte im Keller, die Lebensmittel werden immer knapper, die Geschäfts sind geschlossen“, erzählt Stefan Grunde und setzt fort: „Alle haben Angst, dass die russische Armee die Bevölkerung aushungern will.“
Die Eltern wohnten bislang auch in Cherson, haben ein Haus dort, sind aber in letzter Minute vor den Russen in die Westukraine geflüchtet, zur Oma aufs Land. Die 86-Jährige hat vor kurzem einen Schlaganfall erlitten. „Die Eltern lassen sie nicht allein, da komme, was wolle“, sagt Stefan Grunde. Ohnehin hätten die Schwiegereltern die Haltung: „Wir verlassen unsere Heimat nicht.“ Yrina ist in der ukrainischen Literaturszene stark vernetzt und hat gerade erst wieder gehört, wie der Krieg Familien auseinanderreißt. In dem Fall musste der Vater an die Front, die Mutter hat sich mit ihrem Sohn nach Kiew aufgemacht in der Hoffnung, dass die Metropole Schutz bieten könne. Die heranwachsende Tochter konnte sie von dem Plan nicht überzeugen, sie setzte sich mit Freundinnen zur polnischen Grenze ab.
Schwierige Situation für die Kinder
Für die Kinder sei die jetzige Situation sehr belastend, sagen Yrina und Stefan Grund. Sie bekommen überall mit, dass in dem Land, in dem Oma, Opa und Onkel leben, Krieg herrscht.
„Wir nehmen uns natürlich Zeit und gehen auf die Fragen ein“, sagt der Vater. Das sei aber immer wieder eine Herausforderung, schließlich möchten die Eltern ihre Kinder nicht verunsichern, gleichzeitig aber doch über den Krieg und seine Folgen sprechen.
Wenn Yrina und Stefan Grunde wissen wollen, wie es ihren Angehörigen ergeht, ist das meist mit Hindernissen verbunden. Über das Internet können sie es versuchen, das Telefonieren stellt beide Seiten auf eine Geduldsprobe. „Die Verbindungen reißen immer wieder ab und sind auch nicht allzu gut.“
Vater will seine ukrainische Heimat nicht verlassen
Eine aus der Ukraine stammende Hattingerin, die ihren Namen nicht so gerne in der Zeitung lesen möchte, konnte zwar schon ihren Bruder samt Familie wieder in die Arme schließen. Doch Vater und Schwester sind in Kiew geblieben.
Der Bruder „ist mit seiner Frau und zwei Kindern aus der Hauptstadt geflüchtet“, erzählt die junge Frau. Sechs Tage waren sie unterwegs, jetzt heißt es in der Fünf-Zimmer-Wohnung zusammenrücken. Der 42-Jährige besitze neben dem ukrainischen auch einen litauischen Pass, ansonsten wäre der Bruder gar nicht aus dem Land rausgekommen. Deren erst vor wenigen Monaten gekaufte Wohnung liege in direkter Nähe eines Flughafens. Da sei die Angst riesengroß gewesen, dass die Russen die angrenzende Siedlung unter Beschuss nehmen, so die Hattingerin.
Nun würde sie auch gerne die weiteren Angehörigen nach Hattingen holen. Aber: Der Vater sage, er habe in der Sowjetarmee gedient, er möchte seinem Land nicht den Rücken kehren. Und auch die Schwester möchte bleiben. Wenn sie jetzt mir ihr spricht, „erzählt sie mir, wie der Erdboden bei den starken Bombardements vibriert, es kaum noch Lebensmittel gibt und die Menschen in Kellerräumen Schutz suchen“.
Nach Raketenangriffen Eltern aus Kiew herausgeholt
Olga Langer, die als Integrationsfachkraft an der Grundschule Heggerfeld arbeitet, schildert derweil, wie ihr Bruder in Kiew die Eltern unter Lebensgefahr außerhalb der Stadt brachte. Sie wohnten bislang in einer Wohnung nahe zu dem Hochhaus, das gleich am ersten Tag Ziel von Raketen war. Obwohl Straßen gesperrt waren, auf anderen Panzern rollten, sei es ihm gelungen, Mutter (70) und Vater (73) noch herauszuholen. Sie sind jetzt 150 Kilometer südwestlich von Kiew in einem leerstehenden Haus untergekommen, das man ihnen vermittelt habe. Die Heizung funktioniere nicht, Essen müssten sie sich auf einem Gaskocher zubereiten. „Aber sie sind zumindest aus Kiew raus“, sagt Langer und wenn sie das sagt, schwingt auch Wut und Trauer mit, dass die Russen „die schönste Stadt“ in Schutt und Asche legen könnten.