Hattingen. Karin Klemt aus Hattingen ist Mitarbeiterin des Ambulanten Hospizdienstes Witten-Hattingen. Was sie über ihre ehrenamtliche Tätigkeit sagt.

Neulich hat Karin Klemt wieder eine ältere Frau in ihren letzten Lebenstagen begleitet. Schon als die Hattingerin die Mittachtzigerin erstmals besuchte, konnte diese nicht mehr aufstehen von ihrem Bett im Seniorenheim, die Kraft reichte dafür nicht mehr. „Aber diese ältere Dame war noch sehr klar und sehr interessiert am Leben. Sie fragte mich bei jedem Besuch, was draußen los ist. ,Erzählen Sie mal…‘ hat sie stets gesagt. Sie wollte eben am Leben teilhaben – bis zuletzt.“ Ganz so, wie es das Motto der Hospizbewegung ist: „Leben bis zuletzt“.

Regelmäßig besucht die 69-Jährige Menschen an ihrem Lebensende

Ein Leitgedanke ist das, für den sich Karin Klemt seit mehr als zwei Jahrzehnten engagiert, als eine von rund 60 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ambulanten Hospizdienstes Witten-Hattingen. Regelmäßig besucht die 69-Jährige dabei Sterbenskranke und andere Menschen an ihrem Lebensende: im Krankenhaus, zu Hause, in einer Pflegeeinrichtung. Dass sie Frauen und Männer begleite, die bald sterben werden, würde Karin Klemt indes niemals sagen, „ich will sie ja nicht auf dieses Sterben reduzieren“. In ihrer Tätigkeit als Hospizhelferin suche sie vielmehr „Menschen auf, die abschiedlich leben“.

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Bei jedem versucht die Hattingerin dabei, auf dessen ganz individuelle Wünsche und Bedürfnisse einzugehen. Wenn sie einen Raum betrete, sage sie dabei jedes Mal zunächst, „dass ich jetzt Zeit für den Besuchten habe“. Wie Karin Klemt diese füllt, das ist dann sehr verschieden: Mancher Frau, manchem Mann leistet sie oft stundenlang schweigend Gesellschaft, manchmal bietet sie einem Besuchten ihre Hand an als Halt, bei bettlägerigen Begleiteten, die am Lebensende zudem teils nicht mehr sprechen können, nimmt sie mitunter den Atemrhythmus auf. Zu anderen Besuchten, sagt Karin Klemt, versuche sie zunächst in Kontakt zu treten, indem sie eine Hand auf deren Schulter lege oder über etwas spreche, das ihr in der jeweiligen Umgebung gerade auffällt.

Eine Rose steht in einem Hospiz vor dem Bett einer alten Frau. Unmittelbar über das Thema Tod sprechen wollen die wenigsten abschiedlich Lebenden.
Eine Rose steht in einem Hospiz vor dem Bett einer alten Frau. Unmittelbar über das Thema Tod sprechen wollen die wenigsten abschiedlich Lebenden. © dpa | Swen Pförtner

Dem anderen zuhören, mit dem anderen reden, mit dem anderen schweigen

Viel Einfühlungsvermögen ist dabei stets gefragt, damit es Karin Klemt gelingt, sich in die ihr ja fremde Person hineinzufühlen. Und zudem die Zuversicht, dass dem anderen ihre Begleitung auch gut tut. Bei der 69-Jährigen umfasst diese dabei im Kern drei Dinge: dem anderen zuhören, mit dem anderen reden, mit dem anderen schweigen. Andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ambulanten Hospizdienstes, sagt sie, würden für einen Schwerkranken auf Wunsch auch schon mal etwas kochen oder ähnliches, „jeder bringt in diese Tätigkeit ja auch seine Persönlichkeit und seine eigenen Ansichten ein“.

Bei jedem abschiedlich Lebenden versucht Karin Klemt, auf dessen ganz individuelle Wünsche und Bedürfnisse einzugehen. Manchmal bietet sie einem Besuchten ihre Hand an als Halt.
Bei jedem abschiedlich Lebenden versucht Karin Klemt, auf dessen ganz individuelle Wünsche und Bedürfnisse einzugehen. Manchmal bietet sie einem Besuchten ihre Hand an als Halt. © WAZ FotoPool | Manfred Sander

Was sie im Detail erlebt als Mitarbeiterin des Ambulanten Hospizdienstes erzählt Karin Klemt natürlich nicht, schließlich gilt für eine solche unentgeltliche Begleitung die Schweigepflicht. Aber sie verrät, dass das, was abschiedlich Lebende bewegt, äußerst vielschichtig ist. Viele Besuchte, wenn sie noch sprechen können, wollten einfach etwas erzählen aus ihrem Leben. Banale Gespräche, sagt Karin Klemt, seien das dabei nie. „Selbst wenn Menschen ,nur’ über so genannte Alltagssituationen reden, hat das eine besondere Bedeutung. Denn diese zeigen mir, was diesen Menschen ausmacht, was ihm Freude bereitet hat in seinem Leben.“ Sein Beruf, seine Hobbys, die Familie.

Angebote zur Begleitung unheilbar Kranker und bei Trauer

Bürgerinnen und Bürger, die eine qualifizierte und intensive Begleitung für unheilbar Kranke und Sterbende suchen, um diese in ihrem Wunsch zu unterstützen, ihre letzte Lebensphase in vertrauter Umgebung und möglichst schmerzfrei, bewusst und selbstbestimmt zu verbringen, können sich an den Ambulanten Hospizdienst Witten-Hattingen wenden. Kontakt: 02324/38093070, Mobil: 0174/9797029. E-Mail: AHD-Hattingen@gmx.deDer Verein für Trauerarbeit Hattingen „traurig – mutig – stark“ wurde im Mai 1999 in Hattingen-Welper gegründet. Das Zentrum für Trauerarbeitbefindet sich im Paul-Gerhardt-Haus, Marxstraße 23. Ein weiteres gibt es seit 2007 in Wuppertal. Und 2012 wurde ein Zentrum für Kinder- und Jugendtrauerarbeit in Witten eröffnet. Weitere Infos rund um die vielfältigen Angebote für Trauernde gibt es auf der Homepage des Vereins: www.traurig-mutig-stark.de

Oder die Reisen – wie bei jenem schwerkranken Mann noch jüngeren Alters, der Karin Klemt bei jedem Besuch begeistert von seinen Urlauben in Frankreich erzählte. Und danach sagte: „Da werde ich im nächsten Sommer wieder hinfahren.“ Zunächst sprachlos sei sie über diese Aussage angesichts seines Zustandes gewesen, erinnert sich die Hattingerin. Dann indes habe sie seine Gedanken aufgegriffen und gesagt: Das ist eine tolle Vorstellung. „Damit hatte ich ja nicht gesagt, dass das wohl nicht mehr möglich ist, aber ihm auch nicht die Hoffnung auf das genommen, was ihm die Freude am Leben erhielt.“ Bis zuletzt.

Unmittelbar über das Thema Tod sprechen wollen die wenigsten

Unmittelbar über das Thema Tod sprechen wollen dagegen die wenigsten, immer wieder trifft Karin Klemt als Hospizhelferin aber auf Menschen, die sie fragen: Warum gerade ich? Dann gehe es darum zu klären, was hinter diesem „Warum“ stecke. Verzweiflung angesichts des abschiedlichen Lebens? Oder vielleicht eher die Schmerzen, die die Erkrankung verursacht und die mitunter sogar das Sterbehilfe-Thema aufkommen lassen. „Natürlich“, sagt Karin Klemt, „müssen wir uns mit diesem auch auseinander setzen, aber ein Palliativdienst kann Schmerzen ja weitestgehend lindern.“ Und werde bei Bedarf auch stets kontaktiert.

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Fast immer dankbar seien abschiedlich Lebende für ihre Besuche, sagt Karin Klemt, weil sie Normalität in deren Leben zurückbringt. „Für Angehörige ist Normalität im Alltag zu leben mit einem Schwerkranken schließlich sehr schwer.“ Oft erlebt sie es dabei aufgrund dieser für die Familienmitglieder sehr belastenden Situation, dass sie nicht nur die schwer Kranken, sondern auch deren Familien begleitet, auch ihnen also zuhört – und manchmal auch Impulse gibt für einen Umgang mit dem Angehörigen, der sich nicht zuvorderst auf dessen Ende fokussiert.

Zuneigung zum Menschen und Selbstvertrauen brauche man für solch ein Ehrenamt, gesteht Karin Klemt. Und sie fügt hinzu: „Ich finde es richtig, dass man auch für andere Menschen da ist.“

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