Hattingen. Ein Experte kritisiert das Gerüst an der Gesamtschule Hattingen scharf. Die Stadt will sich an Richtlinien gehalten haben. Daran gibt es Zweifel.
„Das ist lebensgefährlich“, findet Jörg Kilian deutliche Worte für den provisorischen Fluchtweg über ein Gerüst am Gesamtschul-Standort Lange Horst. Kilian war im Vorfeld als Experte von der Stadt zu den Bedingungen für den Rettungsweg befragt worden und übt nun scharfe Kritik an der Umsetzung. Die Stadtverwaltung betont, man habe die Richtlinien eingehalten.
Fluchtweg an der Schule nicht breit genug
Jörg Kilian unterrichtet bei der Handwerkskammer Dortmund angehende Gerüstbaumeister. Zufällig sei er kürzlich an der Gesamtschule in Hattingen vorbeigekommen und entsetzt über den seit wenigen Wochen eingerichteten Fluchtweg. „Da wird mit dem Leben von Menschen gespielt“, findet er drastische Worte. Seine Kritik: Der Weg über das Gerüst sei zu schmal und auch vorgeschriebene senkrechte Füllstäbe im Geländer fehlten teilweise.
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„Das Gerüst ist gerade einmal 94 Zentimeter breit – darüber dürften sechs Leute flüchten, stattdessen sind es hier aber drei Klassen“, erklärt Kilian. Er verweist auf gültige Richtlinien dazu.
Vorgeschriebene Breite ist von der Personenzahl abhängig
Die Stadt Hattingen erklärt auf Nachfrage der WAZ: „Verschiedene Aspekte zur Herstellung des Rettungsgerüstes wurden in Absprache mit der Bauordnung und der Feuerwehr festgelegt und eine Breite von 0,90 Metern als ausreichend betrachtet. Zur weiteren Unterstützung werden zusätzliche organisatorische Maßnahmen seitens der Feuerwehr durchgeführt.“ Nach „einschlägigen Richtlinien“ läge die erforderliche Breite für Fluchtwege bei 0,90 bis 1,20 Metern – „in Abhängigkeit der Personenzahl die den Rettungsweg (bis zu 200 Personen) nutzen“, teilt die Stadt schriftlich mit. Danach habe man sich gerichtet.
Erste Brandschutz-Maßnahmen
Den Standort Lange Horst der Gesamtschule besuchen insgesamt 620 Schüler. Ein neues Brandschutzkonzept für die Gebäude ist in Arbeit. „Es wird bisher eine Lösung mit innenliegender Rettungswegführung favorisiert“, teilt die Stadt mit.
Vorgesehen ist, im Gebäudeinneren unter anderem Treppenbereiche durch neue Rauchschutztüren von den Fluren abzuschirmen, sodass im Brandfall der Qualm nicht in alle Bereiche des Hauses zieht. Kleine Maßnahmen wurden bereits umgesetzt. So wurde festgelegt, dass einzelne Türen nicht abgeschlossen werden dürfen, Papierkörbe im Bereich der Fluchtwege wurden entfernt und Wege für die Rettungsfahrzeuge im Außenbereich optimiert.
In der Arbeitsstättenrichtlinie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAUA), die auch für Schulen gilt, heißt es tatsächlich: „Die Mindestbreite der Fluchtwege bemisst sich nach der höchstmöglichen Anzahl der Personen, die im Bedarfsfall den Fluchtweg benutzen müssen“. Aus einer Tabelle in dem Dokument geht hervor, dass bei einer Mindestbreite von einem Meter bis zu 20 Personen den Fluchtweg nutzen dürfen. Erst ab einer Mindestbreite von 1,20 Metern dürften bis zu 200 Personen über diesen Weg fliehen.
Gerüst ist ein provisorischer Fluchtweg
Die Fluchtwege über das Gerüst betreffen Teilbereiche der Schule. Sie sind ein vorübergehendes Provisorium, bis bauliche Maßnahmen zum Brandschutz im Gebäude umgesetzt wurden. An einem Konzept dafür werde mit Hochdruck gearbeitet. Über den Gerüstweg sollen im Ernstfall maximal drei Klassen pro Geschoss, also etwa 90 Schüler pro Gerüstgang, flüchten können, erklärt Stadtsprecherin Susanne Wegemann.
Stadt begründet die Wahl mit Kosten
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Jörg Kilian betont, er habe sich mit seinen Einwänden auch an die Stadtverwaltung gewendet. Dort habe man die Entscheidung für diese Lösung mit den sonst zu hohen Kosten begründet und darauf verwiesen, dass es sich bei den Schülern nicht mehr um ganz kleine Kinder handele. „In Duisburg waren auch ältere Leute und trotzdem sind sie ums Leben gekommen“, zeigt Kilian mit Verweis auf die Loveparade-Katastrophe sein Unverständnis.
Er erklärt, dass seine Kritik nicht auf wirtschaftlichen Interessen beruhe. Er arbeite zwar für einen Gerüsthersteller, jedoch nicht für einen Gerüstbauer und sei deshalb auch nicht in die Vergabe des Auftrags involviert gewesen.
Auf WAZ-Nachfrage teilt die Stadt Hattingen mit: „Eine geeignete, wirtschaftliche Alternative konnte nicht ermittelt werden.“ Das jetzige Gerüst habe rund 100.000 Euro gekostet.
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