Hattingen. Was tun, wenn ein großes Kaufhaus weggeht? Hattingen hat den Wandel vom dominanten Karstadt zu einem breiteren Angebot erfolgreich gestaltet.

Krise bei Karstadt-Kaufhof: 62 Filialen sollen geschlossen, rund 6000 Arbeitsplätze gestrichen werden. Gleich mehrere Innenstädte bangen ums Überleben, weil die großen Kaufhäuser am Ort wegbrechen. Witten zum Beispiel, aber auch in Essen und Dortmund ist der Kaufhaus-Kahlschlag geplant. Hattingen hat das bereits hinter sich, im Jahr 2005 verabschiedete sich Karstadt, drei Jahre später der Nach­folger Hertie – und die City ist heute belebter denn je. Das hat Gründe.

Meinungsverschiedenheiten: Vom „großen Gewinn“ bis zur „pompösen Missgeburt“

So sah es in der Innenstadt kurz vor Baubeginn des Karstadt-Hauses in Hattingen 1974 aus.
So sah es in der Innenstadt kurz vor Baubeginn des Karstadt-Hauses in Hattingen 1974 aus. © WAZ | Repro: Karl Gatzmanga

Doch gehen wir der Reihe nach: Am 9. Dezember 1974 beginnt der Bau des 90 Meter langen und 65 Meter breiten Gebäudes, für das das Altstadt-Quartier Klein Langenberg abgerissen werden muss. Die Gestaltung ist topmodern, so die landläufige Meinung. „Uns hat es gefallen”, sagt Architekt Wolfgang Hacke später zur WAZ. „Es war üblich, dass viel Beton verbaut wurde und er sichtbar war.” Um das Haus an die Altstadt anzupassen, hat er auf den Parkdecks Giebeldächer eingeplant. 20 Millionen Mark lässt sich Karstadt seine 91. Filiale kosten.

Bürgermeister Willy Brückner bezeichnet das Haus bei der Eröffnung am 19. Februar 1976 als großen Gewinn, Einzelhandelsverbands-Sprecher Hubert Sombrowsky sagt, Hattingen sei nun eine „Einkaufsstadt mit Herz“. Schnell machen indes Worte wie „Bau­sünde”, „Schandfleck” oder „pompöse Missgeburt” die Runde.

Von Karstadt zu Karstadt Kompakt zu Hertie zu Kaufland

Der Letzte schließt ab: Geschäftsführer Murat Keklik am letzten Hertie-Tag in Hattingen (8. August 2009).
Der Letzte schließt ab: Geschäftsführer Murat Keklik am letzten Hertie-Tag in Hattingen (8. August 2009). © WAZ | Walter Fischer

Karstadt entscheidet im Jahr 2004, 77 Filialen zu verkaufen – die Hattinger gehört dazu und wird in die neue Karstadt Kompakt GmbH überführt. Das Geschäft läuft so gut, dass der britische Investor Dawnay Day 2005 Karstadt Kompakt übernimmt. Der Name wird geändert – Hertie kommt in Hattingen an. Doch Dawnay Day übernimmt sich mit dem Kerngeschäft auf der Insel und schätzt den deutschen Markt falsch ein – Insolvenz ist die Konsequenz. Am 8. August 2009 schließt Geschäftsführer Murat Keklik die Türen zum letzten Mal.

Parallel dazu wird das Einkaufszentrum Reschop Carré nach zwei gescheiterten Anläufen (2002, 2004) politisch auf den Weg gebracht und vom Düsseldorfer Projektentwickler Concepta umgesetzt. Am 2. April 2009 wird Hattingens Neue Mitte eröffnet. Unter anderem bereichern nun C&A, H&M und der Elektromarkt Saturn das Geschäftsleben in der Innenstadt. Das Reschop Carré bietet 12.000 Quadratmeter Ladenfläche an.

Kaufland kauft im Januar 2010 – und eröffnet das Haus im Oktober 2013

Mehr als vier Jahre steht nebenan das Geschäftshaus an der Großen Weilstraße leer. Denn obwohl Kaufland bereits im Januar 2010 den Kaufvertrag unterschreibt (der Kaufpreis liegt im oberen einstelligen Millionenbereich), zieht sich die Aufnahme der Sanierungsarbeiten zwei Jahre lang hin. Am 30. Oktober 2013 hat das Warten auf Hattingens neues Kaufhaus ein Ende: Neben der eigenen Verkaufsfläche von mehr als 5000 Quadrat­metern gibt es auch eine Laden­zeile (mit Wursthaus, Bäcker, Frisör, Apotheke, Toto-Lotto-Zeitschriften samt Postdienstleistungen).

Blick auf das Reschop Carré in Hattingen.
Blick auf das Reschop Carré in Hattingen. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Diese neue Kombination hat die Hattinger City belebt, kein Zweifel. Der zunächst subjektive Eindruck wird von allen Seiten be­stätigt – von anderen Einzelhändlern, von Marketingmenschen, aber auch vom Zielpublikum, den Kunden, heimische oder auswärtige. Hattingen hat nicht nur Kaufkraft in der Stadt gebunden, sie wurde auch zurückgeholt, ja, hier und da sogar dazugewonnen.

Über die Kaufkraft im „Masterplan Einzelhandel“

Im Jahr 2016 wurde der jüngste „Masterplan Einzelhandel“ aufgestellt. „Die Innenstadt geht vor“ heißt es darin – und es wird aufgezeigt, dass es in den Stadtteilen schlecht aussieht.

Vor allem in Bredenscheid (laut Masterplan Einzelhandel nur 21 Prozent der Kaufkraft im Ort) fehlt es an der Nahversorgung, aber auch Niederwenigern (29 %) und Winz-Baak (37 %) kommen nicht gut weg.

Konkret hat es im Jahr der Erhebung 319 Handelsbetriebe in Hattingen gegeben – 230 in der Innenstadt, 32 in Welper, aber nur neun im Hattinger Hügelland.

Die Fluk­tuation ist vergleichsweise gering, wenngleich es nach dem Abgang des Deko-Anbieters Das Depot einen erheblichen Leerstand gibt. Vergleiche mit großen umliegenden Einkaufszentren wie dem Limbecker Platz in Essen oder dem Ruhr-Park Bochum verbieten sich sowieso – denn das Carré ist ja auch gar nicht auf Zehntausende Besucher am Tag ausgelegt.

Für Hattingen ist das Doppel aus Carré und Kaufland ein Gewinn

Fakt ist aber auch, dass nicht alle zufrieden sind. Viele Händler auf der oberen Heggerstraße grummeln nach wie vor, weil sie sich vernachlässigt fühlen. Doch auch hier hat die Stadt zu Beginn der 2010er-Jahre das Umfeld dank Fördermitteln vom Land herausgeputzt – für kreative Konzepte, um lauffaule Kunden über die Augustastraße hinaus anzulocken, müssen sie selbst sorgen.

Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass es auch ohne das jahrzehntelang dominante Kaufhaus weitergehen kann – wenn sich passende Partner anbieten und die Entscheider dann zugreifen. Für Hattingen ist das Doppel aus Carré und Kaufland ein Gewinn.