Hertie schloss seine Türen zum letzten Mal. Bis dahin drängelten sich Kunden im Kaufhaus, wühlten, stöberten und schimpften.

Die Glastür am Haupteingang schließt elektronisch. Von oben senkt sich die graue Jalousie. Um 16 Uhr macht Hertie am Samstag dicht – für immer. Das Kaufhaus verschwindet aus dem Stadtbild. Geschäftsführer Murat Keklik lässt noch die letzten Kunden durch den Seiteneingang hinaus, schließt ab. Das war's für ihn und seine Mitarbeiter.

Sie haben bis zuletzt kassiert, Hosen, Eierkocher und Taschen zusammengeschoben, von der ersten Etage ins Erdgeschoss sortiert. Die Kauffläche schrumpfte täglich, bis zuletzt die meisten Waren auf dem Boden lagen. Oder sich zerwühlt auf den Tischen türmten. Respekt haben die Mitarbeiter nicht mehr von allen Kunden bekommen, einige beschimpften sie sogar: Weil sie nicht schnell genug Preise an der Kasse eintippten, weil ihnen 80 Prozent Nachlass immer noch nicht reichte.

In den letzten Tagen brummte es bei Hertie. Viele Regale und Ständer sind leer. Tische, Podeste und Regale zusammengeräumt. Viele Freiflächen, daneben die Rolltreppen, die nicht mehr fahren. Oben ist schon früher Schluss. Auch im Restaurant. Unten stehen noch ein paar Wühltische mit CDs, Kabeln, Computerspielen und Glühbirnen. „Der totale Ausverkauf”, sagt ein Mann zu seiner Frau. „Armes Deutschland.”

Viele drängeln auch am letzten Hertie-Tag zwischen den Resten. Ladenhüter sind Blöcke, Stifte, Schlüsselanhänger. Kurz vor Schluss bilden sich an den Kassen meterlange Schlangen. Am Freitag waren es 70 Meter. Eine Mutter stapelt Strümpfe, Wäsche, Kleinkram im Wagen. Fast fällt alles wieder runter. Als Hertie um 16 Uhr schließt, packt sie das meiste wieder aus.

Schnäppchensucher kennen keine Gnade: Sie suchen, stöbern, sammeln. Zwei ältere Frauen gucken nach Wäsche und Taschen. Die gibt es bis 15 Uhr für je fünf Euro. Zu teuer. Manche scheuen sich nicht, zu feilschen. Der Verkäufer schüttelt verständnislos mit dem Kopf, wirkt erregt: „Die sind doch schon von 70 Euro reduziert”. Hertie gleicht einem Basar. Einige Kunden halten den Ausverkauf per Foto fest: posieren für den Schnappschuss im Chaos auf der Verkaufsfläche.

Dort, wo Kassiererinnen bedienen und freundlich bleiben. Sie funktionieren professionell – auch am letzten Tag. Sie arbeiten beinahe wie im Akkord. Nur wenn einige Pfennigfuchser es noch billiger wollen, zeigt sich auch Unmut in den Gesichtern, die viele Kunden seit Jahren kennen.

Einige blicken auch verschlossen, andere regungslos. Die meisten Mienen verraten wenig von dem, was in ihnen vorgehen mag: Angst vor Arbeitslosigkeit, vor einer ungewissen Zukunft, finanzielle Nöte. Oder einfach Erschöpfung nach den letzten Wochen, die viel Kraft kosteten.

„Wie geht es ihnen”, fragt eine Kundin. Die Antwort ist ein Schulterzucken und: „Es geht so.” Geschäftsführer Murat Keklik ist am Ende froh, dass es nun vorbei sei – auch wenn es makaber klänge. Nach außen ist er gefasst, gesteht aber: „Die letzten Tage und auch die letzte zwölf Monate waren sehr, sehr hart.” Für jeden von ihnen.

Leise dudelt Musik aus den Boxen. In regelmäßigen Abständen erinnert eine Durchsage daran, dass Hertie bald für immer schließt. 16 Uhr: Murat Keklik dreht den Schlüssel um. Hertie ist dicht.

Kaum ist der Haupteingang zu, stehen zwei Männer einer Firma für Insolvenzverwertungen aus Mönchengladbach im Raum und schauen sich die verbliebene Einrichtung an. Drei Kunden sitzen noch an der Rolltreppe. Und lassen sich Zeit. Wollen als letzte hinaus. „Das gibt es doch nicht”, ruft eine Mitarbeiterin wütend. Sie sei seit 33 Jahren mit Leib und Seele Verkäuferin. Und jetzt das: Ihre letzten Tage sind eine Horrorwoche bei Hertie.

Eigentümer und Vermarkter

Eigentümer der Hertie-Immobilie an der Großen Weilstraße ist Mercatoria Acquisitons (MABV) aus England, vormals Dawnay Day, Vermarkter des Geschäftshauses indes BNP Paribas Real Estate, vormals Atisreal, mit Sitz in Frankfurt und Berlin. Dem Vernehmen nach verlangen die Engländer für das Haus im Herzen Hattingens einen zweistelligen Millionenbetrag.