Hattingen. Bernhard Matthes polarisiert und provoziert in Hattingen – mit Kunst und mit einem „mittelmäßig kleinen Satirepapier“, wie er es selbst nennt.

Er ist der verrückte Professor. Der Provokateur. Ein Kauz? In jedem Fall einer mit Haltung und Hingabe – er steht für seine Dinge, die im künstle­rischen Bereich zu finden sind, für seine Ideen, kämpft für seine Sache, und ist dafür immer wieder den unbequemen Weg gegangen. Bernhard Matthes ist Kunstprofessor, ja, er ist ein Provokateur – ob er auch ein Kauz ist, mag jeder für sich entscheiden.

„Dummheit ist allgegenwärtig, Klugheit will Tag für Tag erlernt sein. Das Grenzenlose wagen, frei von Konventionen ist der weise Weg.“ Diese Worte hat er in die Lithografie „Tango, Tamburin, Tantalus-Qualen“ eingearbeitet, sie mögen eine Art Lebensmotto sein, eine Leitlinie.

Anfangs arbeitet Matthes als Plakatmaler beim Konsum in Köthen

Der Kunstprofessor in den 1990er-Jahren.
Der Kunstprofessor in den 1990er-Jahren. © WAZ | Werner liesenhoff


Bernhard Matthes wird im August 1947 in Köthen/Sachsen-Anhalt geboren. Weil sein Vater – er ist Maler – weder der SED noch der Gewerkschaft beitritt, hat sein Sohn als „nicht gesellschaftsfähig“ keine Chance auf eine höhere Schullaufbahn in der DDR. Das Abitur holt Bernhard Matthes an der Abendschule nach. Er arbeitet als Plakatmaler beim Konsum in Köthen, schafft es als Grafiker ans Metropol­theater in Ost-Berlin.

Im Jahr 1971 startet er einen Fluchtversuch: In Rumänien will er durch die Donau entkommen und wird dabei festgenommen. Wegen „staatsfeindlicher Hetze“, auch „gegen Brudervölker“, „Grenzverletzung“ und „illegaler Grenzüberschreitung“ wird er zu vier Jahren und zehn Monaten Gefängnis verurteilt, sitzt eineinhalb Jahre in Frankfurt/Oder ein, davon sieben Monate in Einzelhaft. Dann kauft die BRD ihn frei. „Dadurch bin ich so hart geworden, mich kriegt man nicht kaputt“, sagt Matthes, der nach der Entlassung in den Westen über Verwandte in Wattenscheid nach Hattingen gekommen ist.

Stadtmuseum sei eine „10 Millionen DM teure Kinderbastelstube“

Hier entfaltet er sich. Lebt im Hügelland, lernt Treckerfahren, findet Raum für Kreativität und die Kunst. Er engagiert sich für die Elfringhauser Schweiz, für die ganze Stadt, macht Politik – und schreibt ein höchst umstrittenes Thesenpapier.

Fangen wir mit diesen an: Das Stadtmuseum sei eine „10 Millionen DM teure Kinderbastelstube“, Literaturereignisse solle man Profis überlassen „und nicht irgendwelchen abgetakelten Volkshochschullehrern“ – dies sind zwei seiner Thesen, die er im Herbst 2014 aufschreibt. Matthes nennt es „Kulturpapier“ und hat es verfasst, „damit der dahinplempernde Wahlkampf Feuer in die Bude bekommt“. Zuspruch gibt es auf der Straße, massive Empörung indes aus der Politik. SPD-Bürgermeisterkandidatin Dagmar Goch spricht von Diffamierung und distanziert sich, CDU-Kontrahent Frank Burbulla bezeichnet die Thesen als „arrogant, zynisch, beleidigend und menschenverachtend“. Er, durch dessen Initiative die SPD im Jahr 2004 überhaupt erst auf die Bürgermeisterkandidatin Goch gekommen ist, die dann auch die Wahl gewonnen hat, wird fortan von den Sozialdemokraten ignoriert.

Europaweit blickt er auf mehr als 200 Ausstellungen und Veröffentlichungen

Bernhard Matthes hat an der Fachhochschule Dortmund Malerei, Grafik und Bildhauerei studiert. Er hat etliche Lehraufträge und wird im Jahr 1995 zum Professor ernannt. Europaweit blickt er auf mehr als 200 Ausstellungen und Veröffentlichungen. Er macht Kunst am Bau, Kunst im Gericht (1987) und pflanzt den ersten Kunstwald (1998) in Hattingen. Er macht sich unabhängig. Arbeitet als Vermittler für die Bauhaus-Ausstellung im Stadtmuseum (2005), die bis heute größte und aufmerksamkeitserregendste Schau in Blankenstein. Gehört zu den Initiatoren des Nudelblues im Hügelland.

Matthes und Huhn: „Wodajest Was­sergleich im Stadtmuseum.
Matthes und Huhn: „Wodajest Was­sergleich im Stadtmuseum. © Archiv | WAZ


Seine Kunst sorgt für Aufsehen: Er selbst liegt nackt auf einem Feld, sitzt im Kuhstall, stellt ein Huhn in den Fokus und lässt Schafe in einer Kirche grasen. „Für mich ist jedes Jahr besonders, weil es Neues in sich birgt. Es gibt nur Highlights, mein ganzes Leben ist so – ich mache nur Sachen, die mir Freude machen.“

Auch dieses kulturelle Thesenpapier hat ihm viel Freude gemacht. Bernhard Matthes nennt es ein halbes Jahr später ein „mittelmäßig kleines Satirepapier“ und ist überrascht, dass sich die Stadt „davon durcheinander bringen lässt“. „Resultat prima“, sagt er, „sie sind voll drauf reingefallen“. Die Reaktionen anderer Mitbürger haben dem Künstler selbstredend am besten gefallen: „Sie haben ja so Recht!“

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