Hattingen. Autor Hellmut Lemmer wagt den Blick in die Glaskugel. Welche Entwicklungen er für Hattingens Kunst- und Kunstszene bis 2030 erwartet.
Kunst und Kultur, sagt Hellmut Lemmer (72), erhalten eine Stadt lebendig. Wie es um dieses „Aushängeschild für eine jede Kommune“ anno 2030 in Hattingen bestellt ist, auch, welche Anforderungen auf Kulturschaffende zukommen, darüber gibt der Hattinger Autor und Initiator des Hattinger Förderpreises für junge Literatur im WAZ-Interview Auskunft.
Herr Lemmer, wagen Sie einen Blick in die Glaskugel. Hattingens Kunst- und Kulturszene in zehn Jahren wird wie aussehen?
Lemmer: Nun, wenn wir uns mit der Situation der Kunst- und Kulturszene 2030 beschäftigen, dann müssen wir auch sogenannte Megatrends mitdenken, die alle Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft prägen und verändern: zum Beispiel Digitalisierung, Mobilität.
Hellmut Lemmers Visionen für das Jahr 2030
Plakativ hat Hellmut Lemmer einige seiner kulturellen Visionen für Hattingen anno 2030 skizziert:
1. Henning Sandmann von der Bürgergesellschaft lädt zur 300. Nachtwächterführung ein, sie endet in der Aphorismus-Allee im Gethmannschen Garten.
2. Im Zuge der Internationalen Gartenausstellung 2027 ist der oft gehegte Traum einer Seilbahn von der Ruhr zur Isenburg Wirklichkeit geworden. Dort oben kann man nun auf einem 1300 Meter langen Baumwipfelpfad spazieren.
3. Der einzig im Ort noch existente Männergesangverein mit seinen sieben Mitgliedern wird am Klavier vom 95-jährigen Walter Schulte begleitet.
4. Der Hattinger Förderpreis für junge Literatur hat nach 40 Jahren endlich bundesweite Anerkennung gefunden. Die Preislesung wird aus der Markt- und Kunsthalle des vollständig überdachten Krämersdorf live vom Fernsehen übertragen.
Was meinen Sie damit genau?
Viele Vereine, Parteien oder Organisationen klagen darüber, dass es keinen Nachwuchs mehr gibt, jüngere Mitglieder fehlen. Das merkt man auch in Hattingen schon deutlich. So haben wir bereits 2010 nach 25 Jahren die Kulturinitiative Kubischu aufgelöst beziehungsweise mit dem Förderverein Stadtmuseum verschmolzen, weil uns jüngere, aktive Mitglieder fehlten. Derlei ist sicher bedauerlich, aber es muss nicht daran liegen, dass junge Menschen sich nicht engagieren. Sie organisieren sich einfach anders als meine Generation.
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Und wie?
Communitys in sozialen Netzwerken werden bald überholte Vereinsstrukturen, die auch Träger kultureller Betätigung sind, ablösen. Kulturelle Veranstaltungen und Aktionen wird es weiter geben – vermutlich aber in teils anderer Form, vielleicht mehr Poetry Slam statt Lesungen, oder auch ganz neue Formate neben Ausstellungen, Lesungen, Konzerten.
Bedarf es bei dieser Entwicklung einer steuernden Unterstützung?
Sie wäre in gewisser Weise zumindest wünschenswert. Im Bereich der Kultur ist Hattingen im Moment ja noch gut aufgestellt. So kommen zur guten Arbeit von Stadtmuseum, Vhs, Industriemuseum und Stadtbibliothek ja auch noch private Organisationen und Initiativen hinzu – etwa der Kunstverein, die Kleine Affäre oder der Butterbrotmarkt in Blankenstein. Ich wünsche mir allerdings, dass die Stadt diese künftig noch stärker finanziell und organisatorisch unterstützt. Denn ohne eine Förderung lokaler Aktivitäten könnten Kulturinteressierte abwandern in andere Orte, und das wäre ein echter Bedeutungsverlust für die Stadt.
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Sehen Sie in Sachen Kultur-Unterstützung denn einzig die Stadt in der Verantwortung?
Nein. Auch Geldinstitute, Unternehmen und Genossenschaften tun gut daran, hier weiter unterstützend tätig zu sein. In zehn Jahren wird die Finanzlage der Kommunen wahrscheinlich nicht besser aussehen als heute. Andererseits: Alles was heute investiert wird, um unsere Stadt zu einem auch kulturell noch attraktiveren (Wohn-)Standort zu machen, zahlt sich also auf längere Sicht aus.
Nennen Sie bitte ein Beispiel!
Kunst im öffentlichen Raum bedeutet für eine Stadt einen echten Mehrwert. Bei pittoresken Altstadthäusern mit Weihnachtsmarkt dürfen wir in Hattingen nicht stehen bleiben. Mit dem Projekt der modernen Stadttore wurde so gesehen bereits vor Jahren hervorragende Arbeit geleistet, die waren wie frischer Wind fürs Stadtimage. Gleiches gilt für die acht neuen Eisenmänner von Zbigniew Fraczkiewicz, die noch in diesem Jahr im Hüttenpark aufgestellt werden und ein weiterer Anziehungspunkt in touristischer Hinsicht sein werden. Für die Verwirklichung dieser Installation werden übrigens noch Fördergelder gesucht.