Gladbeck. Das Gladbecker Geiseldrama gehört zu den spektakulärsten Kriminalfällen der deutschen Nachkriegszeit. Der Autor Peter Henning lässt in einem Buch die Ereignisse von 1988 wiederaufleben. Im Interview spricht er über den Umgang der Stadt mit dem Drama - und erhebt schwere Vorwürfe gegen die Polizei.

Wie viel in Ihrem Roman ist reine Dokumentation, wie viel ist Fiktion?

Die Ereignisse von damals stellen das Hintergrundbild dar, vor diesem Gemälde lasse ich meine sieben Lebensläufe ablaufen. Was die tatsächlichen Ereignisse angeht, habe ich versucht, so genau wie möglich zu sein, und habe mir dann die Freiheit genommen, in die real existierenden Abläufe vier Figuren hinein zu kopieren, die es nie gegeben hat.

Sie haben vor Ort recherchiert?

Ich war mehrmals in Gladbeck, war in Archiven und ich habe Zeitzeugen befragt. Ich war auch in Rentfort-Nord an der Schwechater Straße 38. Es hat mich seltsam berührt, dieser Flecken hat wirklich eine große Trostlosigkeit, es ist eine komische Stimmung dort. Wen man auch immer spricht, der weiß vom Geiseldrama. Das lastet auf dem Stadtviertel. Und die Stadt muss sich einfach damit auseinander setzen, dass man ihr diesen Makel aufdrückt.

Geiselnehmer Hans-Jürgen Rösner ist ein "Drecksack"

Haben Sie Kontakt mit Rösner und Degowski gehabt?

Das habe ich versucht, aber das wurde sehr barsch abgeblockt. Ein Psychologe der JVA Bochum hat mir gesagt: Ich kann es juristisch nicht verhindern, dass Sie ihn treffen, aber ich werde alles tun, dass Sie es nicht schaffen. Er hat sehr despektierlich von Rösner gesprochen hat. O-Ton: „Der Typ ist ein Drecksack, der hat überhaupt keine Empathie, lebt immer noch im Jahr 1988. Wenn Sie jetzt sagen, sie schreiben ein Buch über ihn, dreht der völlig durch.“

Sie nennen neben Degowski und Rösner auch Silke Bischof, eines der Opfer, und ihre Freundin Ines Voitle mit Namen. In wieweit dürfen Sie die Figuren literarisch verarbeiten?

Das Buch ist komplett durch die Lauge der Juristen gegangen, wurde von der Hausjuristin des Aufbau-Verlags durchgeprüft. Alles, was drin steht, ist sozusagen erlaubt. Ich habe alle Rechte eingeholt.

Könnten dennoch Klagen auf Sie zukommen?

Ich weiß es nicht. Ich habe in Interviews gesagt, ich gehe fest davon aus, dass nach Aussagen des ehemaligen SEK-Beamten Rainer Kesting Silke Bischof von der Polizei getötet worden ist. Das Projektil, mit dem sie erschossen wurde, ist verschwunden. Es gibt eine große Zahl von Ungereimtheiten in diesem Fall, die Akten beim SEK in Köln sind gesperrt. Also, man will diesen Fall nicht in der Öffentlichkeit sehen.

Das Gladbecker Drama war die Geburtsstunde des Privatfernsehens

Jetzt wird das Thema durch Ihr Buch wieder aktuell und Gladbeck ist ebenfalls wieder in den Medien.

Da dies tatsächlich die spektakulärste Geiselnahme der deutschen Nachkriegsgeschichte ist, wird man Gladbeck leider immer wieder damit assoziieren. Diese Bilder haben sich ins kollektive Gedächtnis geschrieben: Silke Bischof mit Degowskis Pistole am Hals, Rösner, der sich die Pistole in den Mund steckt und dabei fotografieren lässt. Für mich hat Mediendeutschland damals seine Unschuld verloren, das war die Geburtsstunde des Privatfernsehens. Man merkte plötzlich, dass die Journalisten, deren Aufgabe darin bestand, über Ereignisse zu berichten ohne Partei zu nehmen, die Grenzen übersprangen und Teil des Ereignisses wurden.