Gladbeck. Dass sie kaltblütig Menschenleben aufs Spiel setzen, hat man Journalisten nach dem Gladbecker Geiseldrama vorgeworfen. Der Gladbecker Pressefotograf Peter Braczko schildert den Banküberfall mit Geiselnahme weniger dramatisch. Bis auf die Kugel, die nur knapp neben ihm vorbeiflog.
Die Schelte nach dem Gladbecker Geiseldrama war für Polizisten wie Journalisten gleichermaßen groß. Besonders den Journalisten warfen erboste Leserbriefschreiber vor, die Polizeiarbeit massiv behindert zu haben. Aus „übersteigertem Geltungsdrang“. Für die gute, aber makabre Geschichte.
Der Boulevard-Journalist Udo Röbel stieg sogar in das Fluchtauto der Geiselnehmer, um sie aus der voll besetzten Kölner Innenstadt auf die Autobahn in Richtung Frankfurt zu lotsen. Der Gladbecker Pressefotograf Peter Braczko hingegen ist überhaupt gar nicht erst in die Nähe der Geiselnehmer und des ersten Tatorts an der Deutschen Bank in Gladbeck gekommen. Obwohl er für die örtliche Tageszeitung fotografierte und die Gladbecker Leser ein besonderes Interesse daran hatten, über dieses Verbrechen in ihrer Stadt informiert zu werden.
Braczkos Vorteil: Schleichwege genutzt
Nur eine Handvoll überregionaler Medien hatte Zutritt zum Geschäftszentrum, in dem die Deutsche Bank lag, die Hans-Jürgen Rösner und Dieter Degowski am Morgen des 16. August 1988, gegen 7.55 Uhr, überfallen hatten. „Wenn an den Absperrungen Gladbecker Polizisten gestanden hätten, dann wäre ich reingekommen. Die kannten mich ja“, sagt Braczko, der 20 Jahre nach dem Geiseldrama mit zwei Redakteuren von DerWesten an den Tatort zurückgekehrt ist. „Aber die meisten Polizisten kamen aus anderen Städten.“
Das war für den 58-jährigen Fotografen nur insofern ein Vorteil, dass er einige Schleichwege nutzen konnte, um wenigstens ansatzweise in die Nähe des Tatorts zu kommen. Denn diese Schleichwege kannten die ortsfremden Polizeibeamten nicht. Braczko stieg auf das Dach einer ansässigen Gesamtschule und versteckte sich zuallererst hinter einem Gebüsch, das nur wenige Meter von der Deutschen Bank entfernt war. Allerdings auch nur wenige Meter von den Oberlichtern, aus denen Hans-Jürgen Rösner plötzlich schoss. Er hatte einen Polizisten entdeckt, den er wohl nicht mochte, mutmaßt Braczko: „In dem Moment habe ich dann zum ersten Mal Kugelpfeife gehört. Polizisten haben mich runtergedrückt. Da wird einem schon ganz anders.“
Im Laufe des Tages verschanzte Braczko sich in einem Haus, das etwa 200 Meter von der Deutschen Bank entfernt war. „Aus dem Schlafzimmer von Leuten, die ich mal bei einem Termin getroffen hatte, habe ich die Fotos gemacht. Gott sei Dank hatte mir am Morgen eine innere Stimme gesagt: ,Nimm besser mal zwei Teleobjektive mit’“, erzählt Braczko.
Gladbeck durch das Verbrechen gebrandmarkt
Gegen 16 Uhr war der Spuk für Peter Braczko erst einmal vorbei. Als einzig festangestellter Fotograf in der Redaktion musste er noch andere Termine wahrnehmen – obwohl er eigentlich einen freien Tag hatte. „Das war für uns zunächst ein normaler Banküberfall“, sagt Braczko. Dass das Geiseldrama auch 20 Jahre später noch die Stadt Gladbeck brandmarken wird, hätten die Redakteure am ersten Tattag nicht geahnt. Deshalb habe die Redaktion nur wenig Bedarf für Diskussionen gesehen, zum Beispiel über die Größe oder die Art der Berichterstattung. „Und ich selber habe auch mehr daran gedacht: Wie kriege ich die anderen Termine noch auf die Reihe? Oder wie stelle ich den Kontakt zur Redaktion her?“, sagt Braczko. Denn Handys gab es zu der Zeit noch nicht.
Mit seinen Teleobjektiven war es Braczko immerhin gelungen, einige Szenen des Geiseldramas im Foto festzuhalten. Das eine Foto aber, das von den Geiselnehmern an der Bank, gelang ihm nicht. Dafür war die Distanz zu groß. Schicksal eines Lokalfotografen. „Ein Bild von den Geiselnehmern, das wäre schon gut gewesen“, sagt Braczko. „Für solch ein Bild muss man was riskieren.“ Angst werde ausgeblendet. Denn ein Verbrechen ohne die Verbrecher bildlich zu dokumentieren, sei nur eine halbe Sache.
Den Rest der Irrfahrt von Rösner und Degowski durch die Republik verfolgte Braczko vor dem Fernseher. Besonders gefesselt oder gar verändert habe ihn der Banküberfall mit Geiselnahme aber nicht: „Mehr zu knabbern hatte ich an einem schweren Hausbrand in der Stadt und habe ich immer noch, wenn Menschen bei Verkehrsunfällen sterben.“
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