Gladbeck. .

Der Gladbecker Hans Boltendahl berichtete fürs russische Fernsehen von den schweren Kriegsjahren zwischen Hoffnung und Furcht. Als der heute 82-Jährige nach Sibirien abtransportiert wurde, war er fast noch ein Kind.

Ein absurdes Bild: Es ist Winter 1944 in Polen, ein 15-jähriger Junge flieht auf dem Fahrrad vor den in Richtung Berlin ziehenden russischen Truppen. Er radelt direkt zurück in die Arme der deutschen Armee. „Nur nicht den Russen in die Hände fallen!“, war damals Hans Boltendahls Gedanke. Und weder ein Platten seines Fahrrads, noch später das Bombardement Dresdens oder gar die direkte Konfrontation mit russischen Panzern konnten den Gladbecker am Überleben hindern. Dennoch fiel der heute 82-Jährige in den Wirren der letzten Kriegsjahre in russische Kriegsgefangenschaft – damals war er fast noch Kind.

Heute, über 60 Jahre nach Kriegsende, besucht ein deutsches Kamerateam den ehemaligen Kriegsgefangenen. Sie machen ein Interview mit Boltendahl für eine russische TV-Dokumentation über deutsche Kriegsgefangene in Russland – Ausstrahlungstermin ist der 9. Mai. Es ist der Tag des Sieges in Russland, gefeiert wird die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht am gleichen Tage im Jahr 1945. Auch Hans Boltendahl, der damals schon Gefangener der russischen Truppen in Frankfurt war, blieb dieser Tag in Erinnerung. „Die Soldaten haben vor Freude in die Luft geschossen. Sie haben uns aufgefordert, mit ihnen zu tanzen. Woina kaputt, Gitler kaputt, der Krieg ist aus, Hitler ist tot. Das haben sie gerufen, und wir alle waren froh.“

„Das war das erste Mal, dass ich Wodka getrunken habe

Lächelnd sitzt er auf einem Stuhl in seiner Wohnung, halb geblendet vom Scheinwerfer des Kamerateams. „Das war das erste Mal, dass ich Wodka getrunken habe“, erinnert er sich und ergänzt mit einem nun ernsteren Gesichtsausdruck: „Aber ich war auch in Sorge: Was wird nun kommen? Ich wurde schnell wieder zurück in die Realität geschleudert, wir wurden wenig später nach Sibirien abtransportiert.“ Die Fragen, die der Kameramann Ilia und sein Neffe Jan auf ihrer Liste haben, lassen den Gladbecker Ikonenmaler Boltendahl in die viereinhalb Jahre nach 1945 zurückfallen. Nun sitzt er auf seinem Stuhl und ihm fällt es nicht leicht, diese Jahre vor seinem inneren Auge passieren zu lassen.

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„Wie haben sie die Kriegsgefangenschaft überstanden?“, fragt Jan, der Boltendahl gegenüber sitzt. „Es war in den ersten drei Jahren sehr schwer. Wir litten an Krankheiten und Hunger, jeder zweite – auch ich – hatte die Ruhr. Darüber hinaus gab es keine Medikamente; wer überleben wollte durfte kein Wasser trinken, nur Holzkohle essen. Wenn man das durchgehalten hat, hatte man eine Chance zu überleben“, antwortet Boltendahl. Es waren schwierige Zeiten für den jungen Hans Boltendahl – keine aber, die ihn mit Hass oder Wut zurück blicken lassen. „Wie haben die russischen Soldaten Sie behandelt?“ Boltendahl: „Sie waren meist selbst Jugendliche, standen unter einem enormen Druck. Darum haben sie sich sehr strikt an ihre Befehle gehalten. Zu den russischen Arbeitern hatte ich aber ein sehr gutes Verhältnis.“

„Die Kriegsgefangenschaft war eine Schule fürs Leben“

Und das Ende seiner Kriegsgefangenschaft? „Das war im September 1949. Eine russische Offiziersdelegation trat vor die Gefangen und sagte, wir hätten sehr gute Arbeit geleistet und würden bald entlassen werden.“ Nur durch seinen „starken Lebenswillen“ habe er das erleben können.

Dass ihn nun das russische Fernsehen besucht, hat er seinem guten Verhältnis zur russischen Kultur zu verdanken. Er brachte 2008 eine von ihm gereinigte Ikone zurück nach Russland, hat daher Kontakte zum Memorialmuseum in Krasnogorsk. Darüber kam das russische Fernsehen auf den Gladbecker. Und seinen Blick zurück auf die Kriegsgefangenschaft verbindet er nicht mit Schmerz: „Wie sich Menschen in Notsituationen verhalten, welche – auch freundschaftliche – Gemeinsamkeiten Menschen haben, das habe ich besonders dort gelernt. Die Kriegsgefangenschaft war eine Schule fürs Leben.“