Gladbeck. Damit die Innenstadt zukunftsfähig wird, entwickeln Profis mit den Gladbeckern ein neues Konzept. Dafür braucht es teils radikales Umdenken.
Der Abend beginnt mit einem kleinen Werbeblock von Gladbecks Bürgermeisterin Bettina Weist. Man habe in den vergangenen Jahren „viele Fördermittel für die Innenstadt“ abgegriffen, das Citymanagement um Katja Krischel sei frisch installiert, und eine IHK-Frequenzzählung für die Innenstadt habe ergeben: „Wir sind gut besucht in Gladbeck.“
Den Feel-Good-Block vor rund 50 Akteuren aus Stadtverwaltung, Politik, Händlern und Gastronomen am Donnerstagabend beim Autoaufbereiter „Pottglanz“ wird die Bürgermeisterin nicht ohne Grund vorgeschoben haben. Bei der Impulsveranstaltung zum gemeinschaftlichen Erarbeiten eines Innenstadtkonzepts folgt auf Weist nämlich Jens Nußbaum. Mit seinen Kollegen des Planungsbüros „Stadt + Handel“ koordiniert er bis Ende des Jahres die Genese des neuen Konzepts, und auch wenn er in seinem Vortrag Gladbeck kaum konkret ansprach – zwischen den Zeilen konnten alle Beteiligten lesen, dass Gladbeck, vorsichtig formuliert, eine „konservative“ Innenstadt hat.
Innenstadt: „Nutzen ist heute wichtiger als Besitzen“
Aber das soll ich jetzt ja ändern. Nußbaum beginnt mit den Trends des gesellschaftlichen Wandels, dem Wertewandel zum Beispiel. Generation Z, Aktivisten, überzeugte Veganer haben andere Ansprüche an eine Innenstadt, die Individualisierung braucht mehr als Stangenware. Aber wie spielt die Sharing-Mentalität von Netflix, Spotify und Co. mit in den Wandel? „Besitzen ist nicht mehr so wichtig, heute geht es um Nutzen“, sagt Nußbaum, „wann haben Sie das letzte Mal eine CD gekauft?“
Das erlebnisorientierte Einkaufen gewinnt an Bedeutung, die Menschen gingen seltener Shoppen, aber wenn, dann richtig, mit allem Drum und Dran. Beispiele? Eine H&M-Filiale mit Leseecken, Ruhezonen und Stillmöglichkeiten für Mütter, „eine Filiale, die die Klientel des Viertels abholt“. Oder ein Restaurant, dessen nahezu gesamtes Inventar auch für das heimische Esszimmer gekauft werden kann, Hybridisierung nennt sich das.
In Innenstädten geht es heute um Angebote, nicht um Produkte
Jens Nußbaum verleiht der Notwendigkeit des Wandels mit kernigen Sätzen Nachdruck. „Wir hören oft: Uns fehlt der Herrenausstatter, der Metzger’ und so weiter. Vergessen Sie es, mit dem Online-Shopping kann keine Innenstadt mithalten. Produktvielfalt hat sich erledigt, es geht um Angebotsvielfalt.“ Die DNA einer modernen Innenstadt bricht er auf drei Punkte herunter: smarte Angebote (Betonung auf Angebote), gemeinsame Aktivitäten und kreative Räume.
Kreative Räume? „Da geht es darum, dass Vermieter Konzepten einen Raum geben, die vielleicht weniger Miete zahlen, aber die dafür mal was Neues ausprobieren.“ Die Persönlichkeit der Gladbecker Innenstadt herauszukitzeln, das sei das Ziel und dadurch ein Erlebnis zu schaffen. Und auch zu schauen, wie die Nachbarstädte dastehen und Nischen zu besetzen. Übrigens ein weiterer Trend des gesellschaftlichen Wandels: Polarisierung. „Die undefinierte Mitte ist sehr schwierig.“ Beispiele von anderswo: Die Fashionbox in Mönchengladbach, in der Klamotten aus dem Onlineshopping abgeholt werden können, inklusive Umkleiden, Café und Möglichkeiten, die Ware gleich wieder retour zu schicken. Oder die Inszenierung der Innenstadt, etwa mit temporärer Kunst, beispielsweise mit bunten Pflastersteinen in einer Gasse. Oder Parklets, als temporären Miniparks auf Parkplätzen. Oder, oder, oder.
Hindern die „Wächter des Gesterns“ den Fortschritt – oder passen sie sich an?
Wie wichtig es ist, dass alle Gruppen, die eine Innenstadt formen, mitziehen, macht Jens Nußbaum zum Abschluss sehr pointiert deutlich, mit einem „Bullshit-Bingo“. Sozusagen ein Best-of der Verhinderer-Sätze, aus allen dieser Gruppen. Die man nun langsam hinter sich lassen müsse. Oder mit einem Verweis auf die „Guardians of Yesterday“, die „Wächter des Gesterns“, man kann auch Ewiggestrige sagen. Und dem Appell, diese Rollen, sollte man sich wiedererkennen, doch abzustreifen.
>> DAS NEUE INNENSTADTKONZEPT: SO KÖNNEN SIE TEILNEHMEN
- Bis zum Ende der Sommerferien analysiert Stadt + Handel die Gladbecker Innenstadt und stellt einen Status Quo auf.
- Zwischen August und Oktober folgt die Phase „Vision“. An einer Online-Umfrage können alle Gladbecker ab sofort teilnehmen; verschiedene Workshops, auch online, folgen.
- Von Oktober bis Dezember steht schließlich die „Ideenschmiede“ an, in der konkrete Ideen und Handlungspläne für die Gladbecker Innenstadt entwickelt werden.
- Die Umfrage zur Gladbecker Innenstadt ist online bereits abrufbar.