Gladbeck. Die Jogginghose polarisiert. Gladbecks Schulen gehen unterschiedlich mit dem Schlabber-Look um, die Knigge-Gesellschaft hat eine klare Meinung.

Sie schlabbert und schlackert um die Beine. Sie mariniert in Brötchenkrümmeln und Ketchupflecken. Und verzeiht es doch, wenn sie mal ein paar Wochen nicht gewaschen wird. Sie ist die Jeans des Feierabends, und so gemütlich. Die Jogginghose. Stein des Anstoßes und textilgewordener Gesellschaftsspalter ist sie aber auch immer wieder. Jetzt gerade zum Beispiel, wo sich die deutsche Knigge-Gesellschaft für ein generelles Verbot des flauschigen Beinkleids in Schulen ausgesprochen hat. Wie halten es die weiterführenden Schulen in Gladbeck? Und, Bonusfrage: Ist diese Debatte wirklich nötig? Oder sieht die konservativ-verkrustete Knigge-Gesellschaft bloß ihre Felle davonschwimmen und will sich wieder aufs Tableau bringen?

An der Erich-Fried-Schule jedenfalls duldet man keine Jogginghosen. „Das haben wir in der Schulordnung ausgeschlossen“, sagt Rektor Peter Washausen. Wichtig sei es zwar, Individualität zuzulassen. „Aber wir wollen unseren Schülern auch ein sicheres Auftreten beibringen. Wir geben ihnen zu verstehen: ,So wie Ihr rumlauft, so werdet Ihr auch gesehen’.“ Und außerdem, sagt Washausen: „Manchmal ist das Auftreten wichtiger als die Mathezensur.“

Jogginghosen-Verbot an Gladbecker Realschule: „Auf dem Weg zum Strand verlaufen“

An der Werner-von-Siemens-Realschule hat Schulleiter Daniel Kroll das Jogginghosen-Verbot auch in die Schulordnung eingearbeitet. „Im Grunde können die Schüler kommen, wie sie wollen. Aber es gibt Grenzen.“ An der Schule habe man Erfahrungen gemacht, nicht nur mit Jogginghosen, „die sehen ungepflegt aus“. Andere Klamotten können dem Schulfrieden genauso gefährlich werden. „Das sieht manchmal aus, als hätte sich jemand auf dem Weg zum Strand in die Schule verlaufen.“

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Was Kroll damit meint, führt die Zeichnung eines androgynen Homunculus in der Schulordnung vor Augen. Der/die/das zeigt, wie es richtig geht, und zur Sicherheit steht es auch noch einmal daneben. „Alles bleibt verborgen. Wir zeigen keine tiefen Ausschnitte“ zum Beispiel. Und eben: „Sportliche Kleidung ist ok. Aber wir laufen nicht im Trainingsanzug oder in Jogginghose herum.“

Schlabber-T-Shirts für Jogginghosensünder

Hosen hat die Realschule keine angeschafft. Aber weite T-Shirts. Wenn jemand nämlich gegen die Kleiderordnung verstößt, bekommt er so eines gestellt und muss es den ganzen Tag tragen – oder wird nach Hause geschickt. „Die Rechte des einen enden da, wo die des anderen anfangen“, fasst Daniel Kroll zusammen. Und außerdem, die Schule hat ja einen Erziehungsauftrag.

„Natürlich ist Kleidung eine Form des Ausdrucks. Aber wir bestimmen hier nun mal bestimmte Dinge. Eben weil wir den Schülern beibringen wollen, dass man dem Gegenüber auch mit seiner Kleidung etwas vermittelt.“ Das sei manchmal eine Gratwanderung, „denn für Schüler ist es auch ein Spiel mit der Herrschaft. Wie weit kann ich gehen“?

Gymnasium in Gladbeck: Vielfalt schlägt Verbot

Das sieht auch Matthias Schwark so, Schulleiter des Ratsgymnasiums. Anders als an der Realschule werden dort aber keine Verbote ausgesprochen, stattdessen gibt es Einzelfallentscheidungen. „Das wurde in der Schulgemeinschaft heiß diskutiert. Aber der Maßstab soll gegenseitige Achtung sein, kein Verbot.“ Am Ratsgymnasium ist die Jogginghose auch nur eine Galleonsfigur für alle möglichen Kleidungsstücke, die eventuell unangemessen sein könnten.

Reden, immer reden: Matthias Schwark, Schulleiter des Gladbecker Ratsgymnasiums, setzt beim Thema Jogginghosen auf Dialog statt Verbot.
Reden, immer reden: Matthias Schwark, Schulleiter des Gladbecker Ratsgymnasiums, setzt beim Thema Jogginghosen auf Dialog statt Verbot. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

„Wenn ich in Badelatschen zur Abiturprüfung komme, dann ist das unangemessen“, verbildlicht Schwark, und in diesem hypothetischen Falle würde ein Gespräch mit einem Lehrer folgen. „Die Kollegen entscheiden individuell, wann sie so ein Gespräch suchen. Dieses Prinzip funktioniert.“ Aber wäre es da nicht einfacher, gleich ein Verbot zu verhängen? Nicht auf Kosten der Individualität, sagt Schwark. „Wir haben hier ein breites Spektrum von vielfältigen Schülern. Die sollen sich auch ausdrücken können.“

Grenzgänge erlauben – und dann drüber reden

Die Ingeborg-Drewitz-Gesamtschule nimmt sich beim Thema ähnlich zurück. „Schüler, die nicht angemessen gekleidet sind, werden angesprochen“, sagt Rektorin Alrun ten Have. „Dezenz hat viel mehr Wirkung als Verbote. Die Jugendlichen wollen sich natürlich ausprobieren und Grenzen testen. Und wir wollen, dass die Schüler lernen, dass Kleider Leute machen.“

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Die Jogginghose ist in Gladbeck also immer noch Kleidungsstück und kein Unruhestifter in der ruhigen See des sozialen Friedens. Die Schulen haben unterschiedliche Ansätze, funktionieren tun sie alle. Bleibt die Frage, warum die Knigge-Gesellschaft so einen Aufriss macht. Ein Erklärungsansatz aus dem Reich der Spekulation: Vielleicht sind die Knigger einfach frustriert, weil sie allabendlich im unbequemen Frack oder Reifrock auf der Couch sitzen müssen.

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