Gladbeck. Die Unesco hat das Steigerlied zu immateriellem Kulturerbe ernannt. Matthias Bohm von den Gladbecker Grubenhelden erklärt den Zauber des Liedes.

„Ihr kommt sowieso alle innen Pütt.“ Vor rund 100 Jahren sagten Lehrer das ihren Schülern gerne, wenn sie von deren Leistungen enttäuscht waren. In den Pütt zu gehen, also im Kohlebergwerk zu arbeiten, war ganz offensichtlich nichts Erstrebenswertes. Das Steigerlied, mit dem Bergbau und seiner Kultur so eng verknüpft, ist seit diesem Jahr trotzdem immaterielles Kulturerbe der Unesco. Im Ruhrpott steigt niemand mehr in den Förderkorb. Das Steigerlied wird aber noch gesungen, auch von jungen Menschen. Wie passt das zusammen? Wenn in Gladbeck einer die Antwort kennt, ist es Matthias Bohm.

Bohm hat die Grubenhelden gegründet. Die Bekleidungsfirma hält die Identität des Kohlenpotts hoch, mit moderner Kleidung, auch international. 2019 präsentierte sie ihre Klamotten auf der New York Fashion Week, 2025 steht Tokio an. Beinahe jedes Stück der Grubenhelden-Kollektionen ist mindestens mit einer der sieben Strophen des Liedes bedruckt. Warum? „Das Steigerlied ist Teil der DNA dieser Region.“

Gladbecker bringt das Steigerlied nach New York City

Und auch Teil der Grubenhelden-DNA. „Wir haben heute wenig Marketingbudget. 2016, als wir angefangen haben, hatten wir gar keins“, sagt Bohm. Also steckte er Teile des ehemaligen Jugendchors der RAG in Grubenhelden-Klamotten und ließ sie im Essener U-Bahnhof das Steigerlied singen. Genau die richtige Idee, wie sich herausstellte. „Der Livestream ist explodiert. Das Video auf Youtube ist heute noch beliebt.“

Das Steigerlied findet sich auf oder in fast allen Kleidungsstücken der Gladbecker Grubenhelden. Die Idee dazu kam Matthias Bohm bei einem Flashmob.
Das Steigerlied findet sich auf oder in fast allen Kleidungsstücken der Gladbecker Grubenhelden. Die Idee dazu kam Matthias Bohm bei einem Flashmob. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Fortan waren die Grubenhelden und das Steigerlied im Schicksal verknüpft. „Steht ja nicht ohne Grund in allen Kleidungsstücken drin.“ 2021 bekommt das Lied folgerichtig seine eigene Kollektion, eigentlich als Dreingabe gibt es auch eine Spieluhr. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal der größte Spieluhrenhändler in Deutschland werde“, sagt Matthias Bohm grinsend. Mehrere Tausend Stück wurden aus dem Logistikzentrum in die ganze Republik verschickt. Und ein paar vielleicht auch nach New York, die Bewohner des Big Apples zeigten sich vom Bergmannschor-Flashmob auf dem Time Square 2019 äußerst angetan.

Das Steigerlied als Zeitzeuge: „Familie kannst du dir nicht aussuchen“

Bohm jedenfalls findet, „es ist genau richtig, dass das Lied jetzt Kulturerbe ist. Es ist einfach mit dieser Region verbunden“. Aber wieso bekommen selbst Mittzwanziger, die nie ein Bergwerk von innen gesehen haben, feuchte Augen, wenn ein überalterter Männergesangverein mit Intonationsschwierigkeiten das Steigerlied eiert? „Familie kannst du dir nicht aussuchen“, sagt Bohm, kurz und knapp.

Steigerlied auf dem Herzen: Die Gladbecker Grubenhelden bieten T-Shirts in allen Farben – und mit allen sieben Strophen des Steigerlieds.
Steigerlied auf dem Herzen: Die Gladbecker Grubenhelden bieten T-Shirts in allen Farben – und mit allen sieben Strophen des Steigerlieds. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Lang und ausführlich meint er damit die Familiengeschichte, die durch die Generationen getragen wird. „Vielleicht hast du deinen Opa das Lied singen hören, vielleicht mal einen Chor. Für die Bergleute steckt ihr ganzes Berufsleben in diesem Lied. Und das prägt auch die Generationen nach ihnen.“ Und dann passiert eben sowas wie 2018 in Bottrop. Mit Prosper-Haniel schloss die letzte Zeche des Ruhrgebiets und der Republik. Zu Grabe getragen wurde sie selbstverständlich mit dem Steigerlied. Bergleute, Schlipsträger, Männer, Frauen, Jugendliche, viel zu jung, um aktive Erinnerungen an den Bergbau zu haben. Alle singen. Alle weinen.

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>> WIESO EIGENTLICH GRUBENHELDEN?

  • Matthias Bohm wurde für seine Heimat im Pott oft bemitleidet. „Dass die einen nicht auf den Arm genommen und getröstet haben, war auch schon alles.“
  • Er will die Geschichte der Menschen hier erzählen – „weil die Menschen das hier selbst eben nicht so gerne tun. Das ist nicht wie in Bayern oder Köln.“
  • Als Medium wählt er Kleidung, „die trägt nun mal jeder Mensch“. Der Erfolg gibt ihm, seit nunmehr sieben Jahren, recht. Einen Überblick über alles, was die Grubenhelden so in petto haben, gibt es im Internet unter grubenhelden.de.