Gladbeck. Zwei Gladbecker Streetworker schildern ihre Sicht auf den konfliktbelasteten Innenstadtbereich – und erzählen von misslungener Integration.
Von „Angst“ berichteten die Anwohner der Humboldtstraße und Umgebung in Gladbeck, Angst vor aggressiven Personengruppen, vor Rasern, Dealern, potenziellen Kriminellen. Sogar von den gefürchteten „No-Go-Areas“ nach Einbruch der Dunkelheit war die Rede, und davon, dass Polizei und Stadt zu wenig gegen die Problematik unternehmen, die vor allem von Menschen nicht-deutscher Nationalität ausgehe.
„Es gibt Probleme, und die wollen wir auch nicht wegreden“, sagen Eduard Müller und Philippe Depke dazu. Die beiden sind Streetworker der Stadtverwaltung Gladbeck, bis spät nachts in den vermeintlichen No-Go-Areas unterwegs – und sie zeichnen ein anderes Bild der Gemengelage, die sie nachtnächtlich erleben. Ein Bild, das eine verkorkste Integrationspolitik der Flüchtlinge aus dem osteuropäischen und arabischen Raum zeigt, aber auch einen latenten Rassismus einiger Menschen, und Betrugsmaschen, die Flüchtlinge gezielt in noch tiefere Krisen stürzen.
Streetworker arbeiten in Gladbeck „pädagogisch“ gegen die Probleme
„Von No-Go-Areas kann man hier nicht sprechen“, sagt Müller, „mir ist hier noch nie etwas passiert.“ Er und Depke kommen im Alltag mit den Menschen, im Schnitt zwischen 14 und 24 Jahre alt, meist osteuropäischer oder arabischer Herkunft, ins Gespräch, vor denen einige Anwohner Angst haben. „Wir helfen niederschwellig“, erklärt Philippe Depke das Konzept, „wir arbeiten auf dieselben Ziele wie Polizei und Ordnungsamt hin, bloß aus einer anderen Richtung, pädagogisch, nicht ordnungsrechtlich.“
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Denn oft stecken die jungen Menschen knietief im deutschen Bürokratiedschungel oder wissen nicht, welche Stellen ihnen beim (Wieder-)Einstieg in die Schule oder den Beruf helfen können. „Da vermitteln wir dann“, sagt Eduard Müller, „wir haben in Gladbeck ein super Netzwerk.“
In Gladbeck „ein Miteinander hinbekommen“
Und genau dort scheint des Pudels Kern zu liegen. Müller und Depke kennen ihre Pappenheimer; die Anwohner, „die dann auch einfach aus dem Fenster fotografieren oder filmen“, „sehen nur eine Gruppe von zehn Männern mit schwarzen Haaren und dunklerer Haut“. Es prallten, da sind sich die beiden einig, Interessengruppen aufeinander.
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„Und das verstehen die Jungs selber auch“, berichtet Eduard Müller. „Wenn wir denen erklären, dass die Frau da jetzt wegen ihnen die Straßenseite gewechselt hat, antworten sie uns: ‘Verstehen wir, ich hätte auch Angst’.“ Die beiden wünschen sich, „ein Miteinander hinzubekommen“, denn wenn sich die „Fronten verhärteten“, werde es nur schwieriger. Würde ein wenig Völkerverständigung die Probleme in der Gladbecker Innenstadt also einfach erledigen?
Hubraum statt Wohnraum
Zumindest wohl einen Teil von ihnen. Dass Personengruppen, ganz gleich welcher Nationalität, auch in Zukunft an der Haltestelle Goetheplatz zusammenkommen, davon sei auszugehen, sagen die Streetworker. „Ein Junge hat mal zu mir gesagt, dass das hier das Herz der Stadt sei“, erinnert sich Müller, Depke ergänzt: „Das ist einfach der zentralste Punkt, um sich in Gladbeck zu treffen.“
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Doch dann sind da ja noch die Autoposer und die vermeintliche Drogenszene. Auch mit diesen Menschen haben die Streetworker zu tun, vor allem mit den jungen Männern in großen Autos. „Das Auto als Statussymbol, das Prahlen, das Zeigen-was-man-hat, das verstehen die Menschen, die hierhin kommen, sehr schnell“, sagen die beiden. Von „Hubraum statt Wohnraum“ ist die Rede, nicht aber vom Rasen, „die Polizei kommt ja alle zwölf Minuten hier vorbei“.
Organisierte Kriminalität in der Gladbecker Innenstadt? „Jein“
Und die organisierte Kriminalität, gibt es die wirklich? „Jein“, antwortet Philippe Depke, denn häufig seien zwielichtige Geschäfte ihrer Klienten „Symptome unserer Gesellschaft und der misslungenen Integration geschuldet“. „Die werden zum Beispiel straffällig, weil sie überschuldet sind“, so Müller, „beispielsweise, weil sie mit Betrugsmaschen ausgebeutet werden, die speziell auf Flüchtlinge abzielen. Oder sie werden bei ihrem Arbeitgeber über den Tisch gezogen und verdienen dann weniger als Mindestlohn.“
Genauso kritisch: Die mangelnden Bildungschancen. „Das Schulsystem hat nie gelernt, Flüchtlinge zu bilden, das verstärkt das Problem noch einmal.“ Bleiben noch die Drogen. Eine feste Szenen mit harten Drogen gebe es in Gladbeck nicht, das sagen die beiden Insider ganz bestimmt. „Marihuana wird verkauft, aber eben nicht an einem festen Ort. Und die Leute sind auch so clever, das nicht an einem Ort zu machen, an dem sie aus unzähligen Wohnungsfenstern beobachtet werden können“, so Philippe Depke.
Neulich hätten die beiden Gerüchte über Pep, also Amphetamine, gehört, „aber zu den Preisen, die uns genannt wurden, muss das stark gestreckt sein.“ Das sei sehr bedenklich, die größte Rolle spiele jedoch der Alkohol. „Da sind wir wieder bei mangelnder Anbindung an Schule oder Job“, schlussfolgert Müller, „viele trinken aus Langeweile. Sobald sie etwas zu tun haben, machen sie das nicht mehr.“ Dass die beiden mit ihrer „Beziehungsarbeit“ nicht alle Probleme lösen können, ist ihnen klar. „Aber wir können den Menschen helfen, in die richtige Spur zurückzukommen, und das funktioniert nur sehr kleinschrittig. Und wir sehen erste Erfolge.“