Recklinghausen/Gladbeck. Der Kreis Recklinghausen liegt in der 200-Kilometer-Zone von zwei umstrittenen belgischen Kernkraftwerken. Das erste wurde ist jetzt stillgelegt.

Belgien hat einen umstrittenen Atomreaktor bei Antwerpen dauerhaft vom Netz genommen. Der Meiler Doel 3 liefert seit dem 23. September keinen Strom mehr. Das ist auch für die Menschen im Kreis Recklinghausen und somit auch in Gladbeck eine gute Nachricht. Doch richtig aufatmen können sie erst, wenn auch der zweite Pannenreaktor, Tihange 2 bei Lüttich, endgültig abgeschaltet wird. Das ist zum 1. Februar 2023 geplant.

Seitdem 2012 Tausende feiner Haarrisse in den Reaktorbehältern gefunden worden sind, geht die Sorge um, dass es wie 2011 in Fukushima (Japan) zu einem schweren Reaktorunfall mit Freisetzung von Radioaktivität kommen könnte. Eine Reihe von Pannen hat das Vertrauen der Bevölkerung in die Sicherheit der Reaktoren zusätzlich geschmälert. Das Gefahrenpotenzial wird von Experten allerdings unterschiedlich eingeschätzt.

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Nach Fukushima wurden auch in Deutschland die Sicherheitszonen um Kernkraftwerke erweitert

Fukushima war auch der Anlass für Deutschland, die Sicherheitszonen rund um die Kernkraftwerke auszuweiten. Betroffen davon ist der Kreis Recklinghausen: Er liegt im 200-Kilometer-Radius von Tihange und Doel – und damit lediglich in der „Fernzone“.

Die Strahlenschutzkommission (SSK), die beratend für das Bundesumweltministerium tätig ist, empfiehlt der Bevölkerung in diesen Bereichen aber immerhin – abhängig von Windrichtung und tatsächlich gemessener Radioaktivität -, sich vornehmlich in Gebäuden aufzuhalten. An Kinder, Jugendliche und Schwangere sollen im Ernstfall Jodtabletten verteilt werden (1,6 Millionen Jodtabletten werden vom Kreis Recklinghausen bereits zentral gelagert). Außerdem wird davor gewarnt, frisch geerntete Lebensmittel zu verzehren.

Eine radioaktive Wolke aus Tihange würde nach etwa 21 Stunden den Kreis Recklinghausen erreichen

Stimmungsumschwung in der Kernenergiepolitik

Im japanischen Kernkraftwerk Fukushima kam es 2011 zu einer Reihe von katastrophalen Unfällen und schweren Störfällen. Die Unfallserie begann am 11. März 2011 mit einem Erdbeben, das durch nachfolgende Flutwellen (Tsunami) über 22.000 Japaner tötete, 470.000 Menschen mussten laut Wikipedia in den folgenden Tagen evakuiert werden. Auch das an der Küste gelegene Kraftwerk wurde beschädigt, Folgeschäden liefen gleichzeitig in vier von sechs Reaktorblöcken ab. In Block 1 bis 3 kam es zu Kernschmelzen. Große Mengen an radioaktivem Material – rund 10 bis 20 Prozent der Menge radioaktiver Emissionen der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl – wurden freigesetzt.

Die Katastrophe führte in vielen Ländern zu einer größeren Skepsis oder einem Stimmungsumschwung zulasten der zivilen Nutzung der Kernenergie. Mehrere Länder vollzogen eine Kehrtwende in ihrer Kernenergiepolitik.

Bei einer Katastrophe wie in Fukushima (Ausfall der Kühlung) dauert es nach Einschätzung der Strahlenschutzkommission rund 13 Stunden, bis Radioaktivität in erheblichem Umfang freigesetzt wird. Mit dem – vorherrschenden – Wind aus Westen würde die radioaktive Wolke aus Tihange nach weiteren sieben bis neun Stunden den Kreis Recklinghausen erreichen. So lautet jedenfalls die Prognose des Fachdienstes Bevölkerungsschutz beim Kreis Recklinghausen. Das tatsächliche Ausmaß der Radioaktivität wird von 70 Messstellen, die über alle Städte im Vest verteilt sind, erfasst.

Vom Alarm bis zum Eintreffen der Wolke bleiben den Behörden im Kreis also rund 21 Stunden Zeit, um die Bevölkerung über Medien und die WarnApp „Nina“ zu informieren und entsprechende Schutzmaßnahmen einzuleiten. Die Zeitspanne würde auch den Menschen in den Städten im Kreis Recklinghausen ausreichend Zeit bieten, um zum Beispiel ihre Kinder von der Schule abzuholen und sich in ihre Häuser und Wohnungen zurückzuziehen.

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Evakuierungen sind für den Kreis Recklinghausen aufgrund der Entfernungen zu den belgischen Kernkraftwerken allerdings nicht vorgesehen. Der Kreis stellt sich vielmehr eher darauf ein, Menschen – zum Beispiel aus dem Grenzgebiet rund um Aachen – noch bei sich aufnehmen zu müssen.