Gladbeck. In Gladbeck ist eine demente Seniorin aus einem Seniorenheim entwichen. Ein Paar brachte die Frau zurück ins Heim – und erlebte Unglaubliches.

Heinrich Jehl ist empört: Er war am späten Nachmittag auf der Berliner Straße in Gladbeck unterwegs, als eine alte Dame mit Rollator plötzlich beim Überqueren der Fahrbahn stürzte. „Zum Glück konnte ich meinen Wagen gerade noch rechtzeitig stoppen“, sagt er. Was danach geschah, können er und seine Lebensgefährtin Erika Dörnemann immer noch nicht fassen.

Beide sind Fachleute in der Altenpflege. Sie halfen der nach ihrer Einschätzung sehr verwirrten, aber augenscheinlich unverletzten Frau auf die Beine. „Wir waren sicher, dass sie im nahe gelegenen Seniorenheim wohnt“, sagt Erika Dörnemann. Deshalb hätten sie mehrfach, aber vergeblich, versucht, die Einrichtung telefonisch zu erreichen. Schließlich hätten sie die Frau auf ihren Rollator gesetzt und zum Elisabeth-Brune-Zentrum geschoben.

Langes Warten bis zum Einlass ins Gladbecker Seniorenheim

„Der Haupteingang war verschlossen, Einlass nur bis 17 Uhr, stand auf einem Schild“, so Jehl. Auch auf wiederholtes Schellen habe niemand reagiert. „Deshalb versuchten wir dann am Nebeneingang, uns bemerkbar zu machen. Nach langem Warten wurde endlich eine Servicekraft aufmerksam.“ „Unmöglich und unverantwortlich“, findet Erika Dörnemann, dass demente Bewohner das Awo-Seniorenzentrum unbemerkt verlassen können. „Das kann lebensgefährlich sein. Schließlich ist die Berliner Straße stark befahren und zudem ein Teich ganz in der Nähe.“

In der Oberhausener Einrichtung, in der sie arbeitet, habe man wirksame Sicherheitsvorkehrungen getroffen: „Am täglich bis 20 Uhr besetzten Empfang liegen Fotos von allen demenziell erkrankten Bewohnern. Will einer von ihnen das Haus verlassen, wird sofort eine Pflegekraft informiert. Wenn der Empfang nicht mehr besetzt ist, wird eine Alarmanlage eingeschaltet, die das Personal auf den Stationen darauf aufmerksam macht, wenn jemand die Tür öffnet, die ja auch als Fluchtweg dient und von innen nie verschlossen werden darf.“

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Eine Alarmanlage dieser Art kenne er nicht, auch nicht aus den anderen Einrichtungen, in denen er gearbeitet habe, sagt Helge Berg, der Leiter des Elisabeth-Brune-Zentrums. Außerdem könne die Awo keinen fünfstelligen Betrag für eine solche Anlage aufbringen. Eine Empfangstheke gebe es im Brune-Zentrum nicht. „Das war bautechnisch nicht möglich, und ich will auch kein Personal aus den Stationen für eine solche Aufgabe abziehen.“ Erst seit Ausbruch der Corona-Pandemie sei der Eingangsbereich für Kontrollen und Testungen bis 17 Uhr besetzt. „Diese Mitarbeiter werden aber nicht über den Pflegesatz abgerechnet, sondern aus dem Corona-Rettungsschirm bezahlt.“

Die Betreuungskräfte gehen mit dementen Bewohnern spazieren

Den konkreten Vorfall bedauert Berg. Die alte Dame habe das Haus bisher nie allein verlassen. „Unsere Betreuungskräfte gehen mit dementen Bewohnern spazieren.“ Dass in der Einrichtung niemand erreichbar war, erklärt er mit dem „sehr unglücklichen Zeitpunkt“. Kurz vor den Mahlzeiten seien die Pflegekräfte damit beschäftigt, Bewohner, die Hilfe brauchen, in die Speiseräume zu bringen. „Dann ist für etwa eine halbe Stunde niemand im Dienstzimmer.“ Spätestens um 18 Uhr, zu Beginn des Abendessens, wäre aufgefallen, dass die Senioren fehlt.

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Ungeschützt seien weglaufgefährdete Bewohner selbstverständlich auch in dem von ihm geführten Haus nicht, versichert Helge Berg. „Wir bieten ihnen, in Absprache mit den Angehörigen, ein GPS-Ortungssystem an, das sie als Uhr oder Kette bei sich tragen, damit wir immer wissen, wo wir sie finden können.“ Heinrich Jehl stellen die Aussagen des Heimleiters nicht zufrieden: „Wenn die Awo schon kein Geld für eine technische Lösung aufbringen kann oder will, dann soll sie ein paar rüstige Rentner auf 450-Euro-Basis beschäftigen, die aufpassen, wer das Haus verlässt und die Leute im Auge behalten.“