Gladbeck. Immer weniger Wähler bei den Wahlen – im Stadtrat in Gladbeck redete die Politik offen und ehrlich über die Gründe. Und auch durchaus kontrovers.
Sehr offen und teils auch selbstkritisch, aber nicht ganz so, wie es sich die SPD wohl gewünscht hatte, diskutierte der Rat der Stadt Gladbeck über ihren Antrag, Konsequenzen aus der niedrigen Wahlbeteiligung bei der vergangenen Landtagswahl zu ziehen. Nach langer Debatte fand am Ende der von den Sozialdemokraten vorgeschlagene Beschluss, vor allem über gesellschaftliche Institutionen die Wahlneugier der Bürger wieder zu wecken, keine uneingeschränkte Zustimmung – nur die SPD selbst und die Grünen, die den Beschluss ergänzten, stimmten zu.
Die anderen Fraktionen haderten damit, nur Institutionen jenseits der Politik vor Ort – Schulen, Bildungseinrichtungen, Verwaltung und die Landesregierung – in die Pflicht nehmen zu wollen, um so die Menschen mehr für Politik und Demokratie zu sensibilisieren. „Müssten wir nicht vielmehr erst vor der eigenen Haustür kehren?“, fragte CDU-Fraktionschef Dieter Rymann in die Ratsrunde. Er bezweifelte, ob die Parteien überhaupt noch die Bürger ansprächen. „Wir sollten allesamt wieder mehr rausgehen in die Stadtteile, als Ratsmitglieder – und nicht nur bei Vorstandssitzungen in den Ortsverbänden oder Ortsvereinen.“ Rymann fügte an: „Wir verlieren Bodenhaftung, deshalb sollten wir vor Ort sein und nicht Dritte um Hilfe bitten.“ CDU-Ratsherr und Parteichef Dietmar Drosdzol ergänzte: „Wir sind schuld, dass die Wähler nicht mehr zur Urne gehen, wir sollten nicht anderen den Schwarzen Peter zuschieben.“
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Die Grünen plädieren für mobile Briefwahlbüros in den Stadtteilen
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Linke-Fraktionschef Rüdiger Jurkosek sah es ähnlich: „Die Tendenz ist nicht neu, wir erleben seit 20 Jahren einen Abwärtstrend bei der Wahlbeteiligung.“ Demokratie und eine hohe Wahlbeteiligung ließen sich nicht verordnen. „Die Menschen müssen Demokratie fühlen und erleben, aber offenbar glauben sie nicht mehr daran.“ FDP-Fraktionsvorsitzender Michael Tack sagte, die Politik vor Ort müsse die Bürger überzeugen, bei der Demokratie mitzumachen. „Das ist immer die Suche nach dem Kompromiss aller für alle. Und das Wahlrecht die Chance, dabei mitzuwirken.“ DKP-Ratsherr Gerd Dorka meinte, die Politik erreiche die Menschen nicht mehr, auch weil sie von der Politik enttäuscht seien. „Wenn man eine Abstimmung über den Bau der A 52 macht und das Ergebnis hinterher über Bord wirft, ist das ist eine besorgniserregende Entwicklung.“ Die Parteien seien angesichts der Pleite bei der Wahlbeteiligung gefragt, „das geht nicht über ein Mehr an administrativen Maßnahmen“.
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Grünen-Ratsherr Bernd Lehmann, dessen Partei als einzige mehr Stimmen bei der Landtagswahl erhalten hatte, zeigte sich für seine Fraktion ebenso alarmiert. „Die geringe Wahlbeteiligung rüttelt wach.“ Es sei wichtig, die Gründe genau zu ermitteln, möglicherweise sei in Gladbeck auch die Aufteilung des Wahlkreises „nicht demokratiefördernd“ gewesen. Auch er zeigte sich überzeugt, in den Stadtteilen für die Demokratie kämpfen zu müssen, „wir müssen dorthin, zu den Leuten“. Dennoch zeigte er sich sicher, das auch administrativ einiges, wie von der SPD vorgeschlagen, unternommen werden sollte. Die Grünen ergänzten den Katalog um den Vorschlag, „künftig die Wahlurne näher zu den Bürgern zu bringen“ – mit wieder mehr Wahllokalen und weiteren Briefwahlbüros in den Ortsteilen.
SPD-Fraktion warnt vor einer sozialen Spaltung bei künftigen Wahlen
Zu Beginn der Debatte hatte SPD-Fraktionschef Wolfgang Wedekind dafür geworben, den Antrag seiner Partei zu unterstützen. Wedekind: „Geht es so weiter mit der Wahlbeteiligung, droht eine soziale Spaltung bei den Wahlen.“ Ganze Stadtteile drohten, sich abzukoppeln. „Wir müssen parteiübergreifend alles tun, um das zu verhindern.“ Und selbstredend, so Wedekind im Verlauf der Diskussion, würden die Parteien, auch die SPD, vor Ort arbeiten, „da gehen wir schon selbstkritisch ran“. Ihm sei aber auch eine Initiative des Rates wichtig. Die gelang am Ende allerdings nur mehrheitlich – mit den Stimmen von SPD und Grünen.
Prüfaufträge und Appelle
Mit den Stimmen von SPD und Grünen beschloss der Rat, die Verwaltung zu bitten, bei den Schulen und Bildungseinrichtungen zu werben, (noch) mehr zu den Themen Demokratie, Pluralismus und Wahlbeteiligung zu tun. Gleichzeitig solle sie prüfen, den Fahrdienst zur Wahl durch Ehrenamtliche auszuweiten. Außerdem solle die Verwaltung checken, ob die Einführung zusätzlicher, dezentraler und auch mobiler Briefwahlbüros möglich ist.Gleichzeitig appelliert der Rat an die Landeszentrale für politische Bildung, ihre Angebote zu den Themen zu verstärken. Ein weiterer Appell geht an die Landesregierung, die politische Bildung junger Menschen zu stärken – auch über die Lehrpläne für die Lehrerausbildung.