Gladbeck. Eine Gladbeckerin (19) musste sich u. a. wegen Körperverletzung und Diebstahl verantworten. Deshalb gab ihr das Gericht noch eine letzte Chance.

Die „letzte Ausfahrt vor dem Knast“ nannte der Vorsitzende Richter Bernd Wedig das Urteil des Jugendschöffengerichts gegen eine 19-Jährige aus Gladbeck. Die junge Frau ist schon mehrfach straffällig geworden, wurde unter anderem wegen Diebstählen und Betrugs verurteilt, steht noch unter Bewährung. Jetzt musste sie sich wegen Diebstahls, Körperverletzung und Leistungserschleichung verantworten.

Überraschender Moment: Opfer bittet um mildes Urteil für Gladbeckerin

Mit einer Freundin war die Gladbeckerin im September 2021 am Kanal in Dorsten unterwegs, als ihr junge Männer ins Auge fielen, in deren Nähe ein nicht motorisierter City-Roller lag. Sie habe gefragt, ob sie das Gefährt haben dürfe, die Männer hätten zugestimmt, so die Anwältin der Angeklagten. Der Eigentümer und seine Freunde hatten damit gerechnet, dass die Mädchen nur eine Runde drehen wollten, so einer der Beteiligten als Zeuge. Die aber ließen den Roller ein paar hundert Meter weiter einfach stehen. „Keiner hat gesagt, dass wir ihn zurückbringen sollen“, sagte die Freundin der Angeklagten. Dieser Fall war vor Gericht schnell vom Tisch: Die Angeklagte überreichte dem Eigentümer im Gerichtssaal 50 Euro.

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Im Dezember 2021 saß die 19-Jährige ohne Fahrschein im Bus, als an der Bülser Straße ein Kontrolleur der Vestischen zustieg. Als sie ihn sah, sprang sie auf, versuchte, per Notschalter die hintere Tür sie öffnen, sagte der Mann aus. Er habe sie festhalten wollten. Beim Gerangel habe er einen leichten Kratzer an der Hand davongetragen. Das kommt vor Gericht nicht häufig vor: Der Zeuge bat um ein mildes Urteil. „Sie wollte mich nicht verletzen. Sie war voller Panik, hat immer wieder gerufen, sie wolle aussteigen, ihr drohe Gefängnis. Wenn ich sie hätte beruhigen können, hätte ich sie vielleicht wirklich aussteigen lassen oder ihr von meinem Geld ein Ticket gekauft.“

Gladbeckerin erlebt Gewalt in der Familie: Gericht gibt letzte Chance

Die Angeklagte gab sich reumütig, bat für ihre Verfehlungen um Entschuldigung. Beim Urteil spielte wohl auch ihr Lebenslauf eine Rolle: In der streng gläubigen muslimischen Familie mit zehn Kindern missfiel ihr freier Lebensstil. Sie wurde vom Vater und einem Bruder deswegen geschlagen, brach früh die Schule ab, lebte immer wieder in Wohngruppen, bei Freunden und Bekannten, auch auf der Straße. Im Sommer vergangenen Jahres starb ihr Vater. Seitdem wohnt sie wieder bei ihrer Familie. Jetzt will sie den Hauptschulabschluss nachholen. Ob das klappt, sei zwar fraglich, sagte ihre Bewährungshelferin, aber die Situation habe sich insgesamt verbessert, die junge Frau sei gereift und auf einem guten Weg. „Man sollte ihr noch eine Chance geben.“

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Dieser Bitte kam das Gericht nach. Wegen fahrlässiger Körperverletzung und Erschleichung von Leistungen wurde die 19-Jährige zu zwei Wochen Dauerarrest verurteilt und muss innerhalb von fünf Monaten 100 Sozialstunden ableisten. „Nutzen Sie diese allerletzte Chance. Machen Sie einen Schulabschluss und eine Ausbildung“, gab der Vorsitzende Richter ihr mit auf den Weg.