Gladbeck. Immer mehr Menschen in Gladbeck halten Impftermine nicht ein, sagen diese aber auch nicht ab. Würde eine Strafzahlung dieses Verhalten ändern?
Erst prügeln sich die Menschen fast, um die begehrte Spritze zu bekommen. Und in der jetzigen Situation – Ferienzeit, sinkende Inzidenzen – halten sie Termine zur Immunisierung gegen das Coronavirus nicht ein, sagen aber auch nicht ab. SPD-Politiker und Gesundheitsexperte Karl Lauterbach fordert die Einführung von Bußgeldern für diese Personengruppe. Die Bundesregierung hält nichts von diesem Vorstoß. Und wie sehen das Fachleute in Gladbeck?
Impfen, impfen, impfen! Das ist das Credo aus Politik, Wissenschaft und Arztpraxis, um im Kampf gegen das Coronavirus bestehen zu können. Während es immer noch viele Menschen gibt, die sehnlichst auf den befreienden Piks warten, lassen andere ihre Buchungen verstreichen.
Seit ungefähr einer Woche häufen sich die Fälle: Impftermine platzen
„Seit etwa einer Woche nimmt die Zahl derjenigen, die ihren Impftermin ohne Absage verstreichen lassen, gravierend zu“, stellt Dr. Gregor Nagel als Sprecher des Ärztenetzes in Gladbeck fest. Er berichtet: „Das bedeutet in der Praxis mehr Aufwand. Haben wir Impfdosen übrig, versuchen wir, Patienten anzurufen. Erreichen wir niemanden, müssen wir Impfdosen wegwerfen. Das erfahre ich auch von Kollegen.“
Es sei immer schon vorgekommen, dass Termine nicht wahrgenommen wurden, so Nagel. Aber wenn von 200 geplanten Corona-Impfungen 20 nicht zustandekommen, sei das auffällig. Wegen geplatzter Termine hat sein Praxis-Team nicht nur mehr Aufwand: „Wir arbeiten eine bis anderthalb Stunden länger.“ Nein, Mitmenschen wird durch blockierte Zeiten die Möglichkeit genommen, sich impfen zu lassen. Von der Verschwendung kostbaren Materials einmal ganz zu schweigen.
Kombination von Astrazeneca und Biontech macht logistisch Probleme
„Eine Impfmüdigkeit erkennen wir eigentlich nicht“, sagt der Sprecher. Vielmehr eine Beliebigkeit: „Ich bemerke eine Tendenz, dass die Menschen unleidlicher werden und die gegenseitige Rücksichtnahme abnimmt.“ Viele bemühten sich um mehrere Impftermine, nehmen den ersten wahr und sagen andere nicht ab. Dann sei es vielleicht lästig, am besetzten Praxistelefon zu warten. Oder mit einem elektronischen Buchungssystem sei jemand überfordert. Oder es sei manchen auch einfach egal.
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Nagel will Lauterbachs Vorschlag nicht von vornherein eine Absage erteilen: „Ich verstehe und unterstütze sein Ansinnen.“ Der Gladbecker Mediziner meint jedoch auch: „Es geht nicht um Gebühren, ich will kein Geld haben. Aber diejenigen, die Termine nicht absagen, sollten eine Strafe bekommen. Man könnte 20 bis 50 Euro Pfand erheben.“ Doch auch dann stelle sich, wie grundsätzlich, die Frage: Wer treibt das Geld ein?
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Kollege Dr. Stephan Arntz hält hingegen nichts von einer Strafzahlung für Impfschwänzer. „Es wird schwieriger, eine Herdenimmunität herzustellen“, begründet der Mediziner seine Position. Auf Skeptiker könnte sich solch ein Schritt kontraproduktiv auswirken. Sicher, es sei „nicht gut, dass teure Wirkstoffe auch mal weggeworfen werden müssten“. Aber manche Menschen hätten vielleicht einfach vergessen, ihren Termin streichen zu lassen. Wie Nagel führt auch Arntz an, dass Praxen gerade in dieser Pandemie-Zeit nur schwer erreichbar sein könnten.
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Er erklärt das Prozedere in seinem Berufsalltag: „In den Ampullen stecken unterschiedlich viele Impfdosen. Einmal Astrazeneca reicht für zehn Patienten, Biontech sowie Johnson & Johnson jeweils für sechs. Wir führen entsprechend immer Impfgruppen zusammen.“ Gebe es da Ausfälle und könnten trotz Telefonierens keine Impfwilligen gefunden werden, müssten Dosen verworfen werden.
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Als Problem sieht Arntz die Kopplung der Impftermine bei Biontech und Astrazeneca. Im Gegensatz zu Johnson & Johnson sind bei diesen Wirkstoffen zwei Spritzen in einem festgelegten Abstand notwendig – das passe manchen nicht in ihre persönliche Planung.
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Meinungen aus der Politik
Regierungssprecher Steffen Seibert sagte zum Vorschlag des SPD-Bundestagsabgeordneten Karl Lauterbach, Strafzahlungen für so genannte Impfschwänzer seien nicht geplant. Die Menschen sollten rechtzeitig ihre Termin absagen, so der Appell.
Dieser Meinung ist auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet: Jeder, der einen Termin nicht wahrnehmen könne oder schon woanders eine Impfdosis erhalten habe, solle durch eine Stornierung anderen Impfwilligen die Chance auf eine Immunisierung geben. Ansicht des CDU-Kanzlerkandidaten: „Solidarität erzwingt man nicht durch Strafen.“
Was die derzeitige Situation obendrein kompliziert macht: die Empfehlung der ständigen Impfkommission, nach einer ersten Astra-Impfung Biontech zu spritzen. Arntz: „Astrazeneca haben wir auf Vorrat. Biontech müssen Hausärzte erst bestellen, und die Lieferung dauert.“ In diesem Engpass rät der Mediziner, falls möglich, „die Astrazeneca-Dosis beim Zweittermin wahrzunehmen“.
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Keine Position zu Lauterbachs Anregung bezieht die Kreisverwaltung Recklinghausen, die das Impfzentrum betreibt. Sprecherin Lena Heimers: „Es liegt nicht bei uns, darüber zu entscheiden.“ Immer noch platzen zehn Prozent der Termine. Bis vor kurzem lag die Quote bei lediglich 1,6 Prozent. Nach Angaben von Patrick Hundt, Leiter des Impfzentrums, zieht bei ungenutzten Terminen die Warteliste. Heimers betont: „Im schlechtesten Fall landet Impfstoff im Kühlschrank. Wir vernichten nichts. Das wäre auch sehr ärgerlich.“