Gladbeck. Die Gladbecker ADFC-Sprecherin Vera Bücker würde es bei einer Empfehlung belassen. Laut Studien bremst eine Verpflichtung die Radler.

Fachleute versammeln sich alljährlich zum Verkehrsgerichtstag in Goslar. Ein wiederkehrendes Thema, das kontrovers diskutiert wird: eine Helmpflicht für Fahrrad-Nutzer. Wie sieht der Standpunkt der Experten vor Ort aus? Vera Bücker, Sprecherin des ADFC in Gladbeck, verweist auf überraschende Studien-Ergebnisse.

Zum Beispiel auf eine Untersuchung aus Australien. Bücker: "Es hat sich gezeigt, dass mit Einführung der Helmpflicht bis zu 40 Prozent weniger Menschen das Fahrrad genutzt haben." Das sei kontraproduktiv, wenn das Ziel erreicht werden solle: Umsteigen aufs Velo. "Der ADFC ist daher generell gegen eine Helmpflicht", so Bücker.

Gladbeck: Ein Helm könnte die Radel-Lust bremsen

Nicht nur, dass eine solche Verpflichtung den Radverkehr bremse, das Unfallrisiko steige sogar. Die Expertin erläutert: "Wenn weniger Menschen auf einem Fahrrad unterwegs sind und Autofahrer nur alle Jubeljahre einem Radler begegnen, entsteht ein Überraschungseffekt. Das Unfallrisiko steigt. Um ein Gegenbeispiel zu geben, blickt Bücker in die Niederlande: "Wo viele radeln, kommt der Gewohnheitsaspekt zutage." Autofahrer seien im Umgang mit Drahtesel-Nutzern geübt. Die ADFC-Sprecherin stellt fest: "In Ländern mit vielen Radlern, beispielsweise Skandinavien, sieht man keine Helme." Sie wünscht sich: "Radfahren soll in Deutschland auch so normal werden." Doch dafür bräuchte es vor allem eines: sichere Wege und Straßen für all jene, die in die Pedal treten wollen.

"Radfahrer mit Helm sind häufig riskanter unterwegs"

Dass die Diskussion über dieses Thema hierzulande immer wieder Fahrt aufnehme, habe einen Grund: "Die Versicherungen hätten gerne eine Helmpflicht." Dabei sei mit einem solchen Schutz das Unfallrisiko keineswegs gestoppt - eher das Gegenteil sei der Fall. Durch den zu erwartenden Rückgang an Menschen auf einem Drahtesel, werden diese nicht nur zum unbekannten Wesen für motorisierte Verkehrsteilnehmer: "Radfahrer mit Helm sind häufig riskanter unterwegs, weil sie sich sicherer fühlen. Und sie werden, so ein britische Studie, dichter vom Auto überholt. Es hat sich herausgestellt, dass ältere Frauen auf einem Fahrrad weniger oft ,geschnibbelt' werden als andere Nutzergruppen."

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Ein Helm schütze zwar vor den meisten Kopfverletzungen. Das sei unter den Unfällen ein Anteil von fünf bis zehn Prozent Aber andere Gesichtspartien seien ungeschützt. Bücker sagt: "Das Risiko von Kieferverletzungen ist beispielsweise erhöht."

Weitere Argumente gegen eine Fahrradhelmpflicht, die Gegner einbringen: unpraktisch, lästig, ruiniert die Frisur. Das klingt erst einmal banal, doch sei im Alltag durchaus von Bedeutung, weiß Vielradlerin Bücker aus der Praxis: "Habe ich beruflich einen Termin, komme ich mit zerdrückter Frisur dahin, wenn ich einen Helm getragen habe. Das ist wahrscheinlich für Männer ein geringeres Problem. Eine Helmpflicht würde also den Anteil der Frauen, die aufs Rad steigen, reduzieren."

So manch' ein Drahtesel-Fan empfindet den Helm als lästig

Sie selbst entscheide situativ. "Wenn ich weitere Strecke, wie nach Essen, zurücklegen will, setze ich einen Helm auf. Will ich mal eben nach Gladbeck in die Stadt zu einem Termin, lasse ich ihn weg. Auch im Sommer bei heißem Wetter, weil man unter einem Helm stark schwitzt", erzählt Bücker. Dieses Verhalten kenne sie auch aus ihrem Umfeld.

Der ADFC empfehle einen Schutzhelm, gerade für Kinder. Experten, wie Hauptkommissar Thomas Schwenken, appellieren, ihn zu tragen. Der Verkehrssicherheitsberater, Dienststelle Verkehrsunfallprävention/Opferschutz: "Der Nutzen eines Fahrradhelms ist unzweifelhaft. Er kann Leben retten, zum Beispiel in dem Fall, wenn man auf eine Kante oder einen Bürgersteig stürzt." Solch ein Erlebnis habe er selbst schon am eigenen Leib erfahren.

Die Polizei empfiehlt den Kopfschutz für Radler

69 Unfälle mit Rad-/Pedelecfahrern auf Gladbecker Boden weist die polizeiliche Statistik fürs Jahr 2019 auf, 63 Menschen wurden dabei verletzt (die Daten für 2020 werden erst im März veröffentlicht). "Aus diesen Zahlen lassen sich, so der Fachmann, keine Schlüsse zu den Auswirkungen einer Helmpflicht ziehen. Schwenken: "Das ist anders als bei der Einführung der Gurtpflicht für Autofahrer im Jahre 1975."

Jede Altersgruppe reagiert anders und hat ihre Meinung

Er, der für SchülerFahrradausbildungen durchführt, stellt fest: "Bei Viertklässlern ist der Helm kein Thema, darauf achten die Eltern. Aber in der fünften und sechsten Klasse finden die Schüler den Helm uncool." Von einem jungen Erwachsenen bekam Schwenken zu hören: "Ich sehe doch nicht als einziger doof aus." Die Erfahrungen bei älteren Drahtesel-Fans? Siehe Vera Bücker.

Für jene, die sich um ihre Frisur Gedanken machen, hat Schwenken einen Tipp: "Ein Hersteller hat einen Kragen herausgebracht, der sich bei einem Sturz in Minisekunden wie ein Airbag aufbläst." Allerdings kostet dieses Produkt mehrere 100 Euro.

Thomas Schwenken und Kollegen weisen bei Fahrradschulungen für verschiedene Zielgruppen auf den Nutzen eines Fahrradhelms hin. Ebenso sei dies bei Aktionstagen ein Thema.

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