Viele Gladbecker, die mit Corona infiziert waren, gelten als genesen. Die WAZ hat mit Hausarzt Gregor Nagel darüber gesprochen, was das bedeutet.

Viele Menschen in Gladbeck, die mit dem Coronavirus infiziert waren, gelten inzwischen wieder als gesund. Doch was bedeutet es wirklich, wenn jemand genesen ist, mit welchen Spätfolgen ist zu rechnen, und was macht die Erkrankung mit der Psyche? Darüber sprach die WAZ mit Gregor Nagel, Sprecher des Gladbecker Ärztenetzes und Hausarzt im Hausarztzentrum Butendorf.

Das Kreisgesundheitsamt meldet täglich die Zahl der nach einer Corona-Erkrankung gesundeten Menschen. Doch was bedeutet „gesund“, welche Erfahrungen machen Sie in Ihrer Praxis?

Gregor Nagel: Es wäre die bessere Formulierung zu sagen, jemand ist nicht mehr infektiös. Es kann sein, dass jemand, der als gesundet gilt, noch lange nicht wieder gesund ist. Ausschlaggebend für die Meldung des Gesundheitsamtes ist, dass derjenige Patient nicht mehr infektiös ist. Als gesund gilt, wer keine Symptome mehr hat, und bei dem das Virus nicht mehr nachweisbar ist. Das trifft auf einen Großteil der Patienten auch zu.

WAZ sucht Gesundete für einen Bericht

270 Menschen in Gladbeck, die mit dem Coronavirus infiziert waren, gelten inzwischen (Stand Mittwoch, 22. Juli) als wieder gesund. Die WAZ möchte gerne mit einem Betroffenen über seine Erkrankung, seine Erfahrungen und mögliche Folgen trotz Genesung sprechen.

Gesundete, die über ihre Erlebnisse berichten möchten, können sich per Mail an redaktion.gladbeck@waz.de melden oder telefonisch: 02043/299838.

Aber nicht auf alle?

Anfangs dachte man, das Virus greift nur die Lunge an, es hat aber weit mehr Folgen. Es gibt mögliche Probleme mit weiteren Organen. Häufig sind die Nieren betroffen, bei schweren Verläufen wird auch vermehrt von Herzinfarkten und Schlaganfällen berichtet.

Mediziner Gregor Nagel ist Sprecher des Gladbecker Ärztenetzes. Er warnt: Auch junge und gesunde Menschen können an Corona erkranken.
Mediziner Gregor Nagel ist Sprecher des Gladbecker Ärztenetzes. Er warnt: Auch junge und gesunde Menschen können an Corona erkranken. © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

Welche Beobachtungen machen Sie mit den Menschen, die an Corona erkrankt sind und wieder als gesund gelten?

Meine persönliche Erfahrung ist, dass die meisten augenscheinlich folgenlos gesundet sind. Rund 50 positiv auf Corona getestete Menschen haben wir im Hausarztzentrum Butendorf bisher behandelt. Ein Patient ist an den Folgen verstorben, zwei hatten so schwere Krankheitsverläufe, dass sie im Krankenhaus behandelt und beatmet werden mussten.

Gibt es eine Erklärung dafür, was die schweren Verläufe ausgelöst hat?

Bisher gibt es noch keine Parameter, die verlässlich sagen können, woran es liegt, ob sich ein schwerer Verlauf entwickelt oder nicht. Mir ist aber wichtig, noch einmal zu betonen, dass es auch gesunde und junge Menschen, auch Kinder, treffen kann. Das kommt bei den Menschen offensichtlich nicht an. Niemand kann sich zurücklehnen und sagen, er gehöre nicht zur Risikogruppe.

Haben Sie ein Beispiel eines Patienten, den Sie behandelt haben?

Einer der beiden schweren Verläufe war ein 60-jähriger Mann, also nicht alt und zudem gesund. Seine Erkrankung begann mit den typischen Symptomen: Fieber, trockener Husten und Gliederschmerzen. Nach etwa zehn Tagen verschlechterte sich sein Zustand akut. Er kam ins Krankenhaus, noch in der gleichen Nacht musste er beatmet werden. Über zehn Tage lang. Er hatte ein Durchgangssyndrom (Anmerkung der Redaktion: Verwirrtheitszustände, die etwa nach einer OP auftreten können), unklar ist, ob dies eine Folge von Covid-19 war oder durch das Koma ausgelöst wurde. Er brauchte einige Tage, um sich wieder zu erholen. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus war er noch muskelschwach, hatte ein massives Einbußen der Lungenfunktion, konnte kaum Treppen steigen. Er ist noch immer nicht richtig topfit und bis heute nur eingeschränkt arbeitsfähig.

Was bedeutet das für die Patienten?

Damit sind natürlich auch Ängste verbunden und die Frage, ob man wieder vollkommen gesund wird. Es ist eine psychische Belastung, da auch noch unklar ist, welche Folgeschäden nach einer Covid-19-Erkrankung bleiben. Konzentrationsstörungen und Schwindel können etwa dazuzählen. Das ist zwar schwer messbar, aber ich habe es schon einige Male gehört, dass Patienten davon berichten. Die Folgeschäden sind heute aber noch überhaupt nicht abschätzbar. Es gibt auch Menschen, die kaum Symptome haben, deren Lungenfunktion dennoch um 30 Prozent reduziert ist. Vielleicht fällt das im Alltagsleben gar nicht so auf. Unklar aber ist, ob das dauerhaft so bleiben wird und ob es sich nicht im Alter bemerkbar machen wird, dass 30 Prozent des Lungenvolums eingebüßt worden sind. Das ist nur ein Beispiel, was es an Spätfolgen zu befürchten gibt. Ob sich etwa die Nieren, wenn sie bei der Erkrankung angegriffen wurden, wieder so erholen werden, dass ihre Funktion für den Rest des Lebens reicht, all das weiß man noch nicht.

Wie gehen Sie als Mediziner mit dem neuen Virus um?

Der Praxisalltag war in der akuten Hochphase vom Virus bestimmt. Wir haben alle Routineuntersuchungen abgesagt und die Praxis so hergerichtet, dass eine Infektion der Patienten und auch der Mitarbeiter möglichst vermieden werden kann. Inzwischen gibt es genügend Schutzausrüstung, und es ist wieder ein in Richtung Normalbetrieb gehender Praxisablauf. Langfristuntersuchungen können noch nicht existieren, und an der einen oder anderen Stelle wird noch mit Überraschungen zu rechnen sein. Daher sollte man noch vorsichtig sein, auch bei demjenigen, der erkrankt und nur geringe Symptome hat, können noch Folgen auftreten.