Lokale Zeitungen werfen ein Licht auf die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg. So war es möglich, dass auch die Armen feiern konnten.

„Weihnachten in Schnee und Eis, dies Idealbild jedes echten rechten Christfestes ist uns in diesem Jahre leider versagt, denn seit einer Reihe von Tagen rieselt fast unablässig naßkalter Regen zur Erde nieder . . .“ Diese Feststellung kommt uns doch bekannt vor? Indes: Das Zitat ist 100 Jahre alt und stammt aus der „Gladbecker Zeitung“. Die WAZ wandelt im Jubiläumsjahr der Stadt auf den Spuren der Vergangenheit: Wie feierten die Menschen anno 1919 das Christfest?

Das Stadtarchiv Gladbeck hat Zeitzeugnisse von 1919 im Bestand

Von Idylle konnte seinerzeit keine Rede sein. Es sei „gleichsam als weine der Himmel ob des endlosen Jammerns und Elends“ in einem einst so friedvollen Deutschland.

Hass und Zwietracht führen „Herrschaft auf dem Erdenrunde“, heißt es in dem Artikel, der zum Bestand des Stadtarchivs Gladbeck gehört. Was die Menschen in dem Jahr, in dem Gladbeck die Stadtrechte verliehen bekam, spürten, waren die Folgen des Ersten Weltkriegs, der Friedensverträge von Versailles. Die Welt lag in Trümmern, wurde neu geordnet. Nationen waren verfeindet. In den Zeiten der jungen Weimarer Republik blickten viele Menschen beklommen in die Zukunft.

Doch in dem pathetischen Artikel mit der Überschrift „Aus Stadt und Land“ beschwor der Schreiber die Leser: „So wollen wir denn heute der harten Zeiten bittre Not vergessen und uns freuen der Geburt des göttlichen Kindes, das Frieden und Freuden bringt der bedrängten Menschenbrust.“ Vor allem die Herzen der „lieben Kleinen lechzen nach Weihnachtsfreude und Weihnachtsglück“.

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Das konnten Tannengrün und Lichterglanz zaubern. Den allerersten Weihnachtsbaum, so ist aus den „Gladbecker Blättern für Orts- und Heimatkunde“ aus dem Dezember 1926, ebenfalls im Bestand des Stadtarchivs, zu erfahren, stellte in den Jahren 1847/48 der hiesige Lehrer Schepers in einer Schule auf. Der Gladbecker Pädagoge „ließ sich durch seinen Schüler Theodor van Ahlen (...) von dessen Vater, der Forstrechte in den Waldungen des Hauses Wittringen hatte, eine große Tanne besorgen“, schreibt Studienrat Dr. Ludwig Bette.

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Nach Aussage des Herausgebers der Blätter und verantwortlichen Schriftleiters war der Baum mit Spekulatius, Äpfeln, Brezeln und Kerzen geschmückt. Erst Jahrzehnte später wurden auch Nüsse, Mispeln, Zuckerwerk, Silber- und Glanzpapier sowie Glaskugeln und Engelchen in Weihnachtsbäume gehängt.

Qualvoller Jahre des Entsagens und Entbehrens - so schreibt die Gladbecker Zeitung

„Der Kleinen Wünsche sind ja so bescheiden geworden in den qualvollen Jahren des Entsagens und Entbehrens“, so die Gladbecker Zeitung im Jahre 1919, der eine Weihnachtsbeilage als „gehaltvolle“ Festtagslektüre beigelegt war. Und trotz dieser Bescheidenheit reichten die Mittel vieler Menschen nicht, Geschenke zu besorgen. Der Artikelschreiber ruft dazu auf, „nach Vermögen“ zu spenden, damit es weniger Begüterten möglich sei, ein „Christbäumchen anzuzünden (...) und den Gabenteller zu füllen“.

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Damals wie heute gab es kritische Töne zu den Präsenten. Noch einmal die Gladbecker Zeitung: „Leider sind die Weihnachtsfeiern in den letzten Jahren nicht selten verweltlicht und verflacht. Man spricht nicht mehr vom Christkindchen, sondern vom Weihnachtsmann und seinem Knecht Ruprecht, und bei der Bescherung beachtet man mitunter weder Maß noch Zweckmäßigkeit.“

Dr. Ludwig Bette: „Man bescherte sich früher nur mit nützlichen Dingen, namentlich mit Wollsachen, die man nicht im Laden kaufte, sondern zu Hause selbst anfertigte.“ Der Herausgeber der Gladbecker Blätter führt unter anderem an: Strümpfe, Müffkes, Schals und Mützen. In betuchten Familien seien es auch schon mal Perlenstickereien und Stickarbeiten.

Das Gladbecker Kaufhaus Bär mit Sitz an der Hochstraße empfahl als „passende Weihnachts-Geschenke“ ein wahres Sammelsurium an Waren: Das Angebot reicht von A wie Aluminiumkessel über F wie Fleischmaschinen und K wie Kinderhandtaschen „in Perl, Leder und Sammet“ bis Z wie „Zigarren-Etuis“. Nicht zu vergessen: „Manicure in feinster Ausführung“, das neueste Rauchservice und vieles mehr. „Schmidt’s Weinhandlung“, Kaiserstraße 21, machte Reklame für edle Tröpfchen von der Mosel, Portwein, Rum, Cognac und andere Alkoholika in allen Preislagen. Für eine Flasche „alten Korn“ mussten Käufer 20 Mark hinblättern.

Für viele in Gladbeck waren die Zeiten alles andere als ein Zuckerschlecken, wie folgende Meldung ahnen lässt: „Soweit bis jetzt feststeht, dauern die Weihnachtsferien bis zum 7. Januar 1920 einschließlich. Doch es ist nicht ausgeschlossen, dass zur Kohlenersparung noch eine Verlängerung verfügt wird.“

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Und noch eine Notiz in der Gladbecker Zeitung führt dem Leser Not vor Augen: „Die Wirtschaftliche Vereinigung Kriegsbeschädigter und Kriegshinterbliebener veranstaltet am 28. Dezember (...) eine Weihnachtsfeier für ihre Kinder.“

Bescherung für gut 1000 Mädchen und Jungen

Für etwa 1000 Mädchen und Jungen sei eine Bescherung geplant.

Grund: Nicht allen Kriegsbeschädigten und -hinterbliebenen sei es möglich, „ihren Kindern den Tisch zu decken“. Auch der „Hilfsbund für Elsaß-Lothringer im Reich Ortsgruppe Gladbeck“ beschenkte den Nachwuchs: am zweiten Feiertag bei einem „Weihnachtsvergnügen“ – „im Saale Wilskamp, Ecke Roßheidestraße, Anfang 3 Uhr mittags“.

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Wer sich mehr leisten konnte, besuchte vielleicht eine Familien-Vorstellung des Zauberkünstlers „Bellachini – die größte Musikschau der Gegenwart“ im Central-Hotel Gladbeck oder einen Theaterabend. Damals wie heute gehörte eines unbedingt zum Fest: Musik. „Der Kirchenchor der Lambertipfarre hofft (...) außergewöhnliche Christgeschenke an Chorwerken darbieten zu können“, ließ die Gladbecker Zeitung ihre Leserschaft wissen. Oder Familien sangen daheim die traditionellen Lieder, die bis heute erklingen: Stille Nacht, heilige Nacht.

Das Fest für Verliebte

Ein Blick auf die Anzeigen in der Gladbecker Zeitung zu Weihnachten vor 100 Jahren zeigt: Die Festtage am Jahresende waren beliebt bei Paaren, die sich verlobten. 20 Mal wurde allein auf einer Seite dieses Ereignis kundgetan.

Mit vier Ausrufezeichen bietet gleich nebenan außerdem eine Ehevermittlung ihre Dienste an. Die Konkurrenz verkündet: „Viele vermög. Damen wollen sich bald glücklich verheiraten.“

Neben Gesuchen für Dienstmädchen und Meldungen zu „verlorenen Brieftaschen“ wurden Festveranstaltungen inseriert: „zur Erholung“ ein Ball „auf spiegelglatter Tanzfläche“, eine Weihnachtsfeier mit Kinderbescherung und ein „Instrumental_Konzert am zweiten Festtage im Saale“ – „Es ladet freundlichst ein Josef Dume“.

Der Deutschnationale Volksverein, Ortsgruppe Rentfort-Zweckel-Ellinghorst, bietet am „Sonntag, den 28. ds. Mts.“ eine Weihnachtsfeier ein. Der Clou: eine Kinderbescherung. Ort der Veranstaltung war ein Saal in Zweckel – „an der Potsdamerstraße“.