Gladbeck. In einer szenischen Lesung haben Gladbecker einen Streifzug durch die Stadtgeschichte unternommen. Es ging um schöne und schreckliche Ereignisse.

Spontanen Beifall gibt es am Mittwochabend im vollbesetzten Ratssaal, als die Chronisten verkünden: „November 2018: Das Haus an der Horster Straße 54 wird nach Ida und Max Kaufmann benannt.“ Sie waren jüdische Mitbürger und hatten dort ihr Geschäft für Kurz- und Wollwaren geführt. Max Kaufmann verstarb auf der Flucht vor den Nazis in Amsterdam, Ida Kaufmann wurde vermutlich im Konzentrationslager Theresienstadt umgebracht.

Gladbecks Stadtarchivarin Katrin Bürgel und der Hagener Schauspieler Marco Spohr hatten zu „100 Jahre in 100 Minuten“ geladen und boten ein Potpourri aus Zeitungsschlagzeilen, Gedichten, Zeitzeugenzitaten und Dokumentarfilmen, in dem die großen und zuweilen schrecklichen Ereignisse, aber auch die vermeintlich kleinen, zwischenmenschlichen Begebenheiten in 100 Jahren Stadtgeschichte beleuchtet wurden.

Adolf Hitler kommt im Jahr 1932 nach Gladbeck

Am 21. Juli 1919 erhält Gladbeck die Stadtrechte, die Straßen sind ein einziges Fahnenmeer und bald wird Dr. Michael Jovy zum ersten Oberbürgermeister gewählt. Mit dem Kapp-Putsch im März 1920 und seiner Niederschlagung im April durch das Freikorps „Marinebrigade von Loewenfeldt“ folgen turbulente Zeiten. Die Ruhrbesetzung endet 1925, die Vestische Kampfbahn wird gebaut, wo 1930 nicht nur Schalke 04 den VFL Benrath mit 1:0 besiegt, sondern auch Adolf Hitler 1932 auftritt.

Die Zeit des Nationalsozialismus endet 1945 mit einer verheerenden Bilanz: Eine über 40 Prozent zerstörte Stadt, mehr als 800 Gladbecker Tote und genauso viele Zwangsarbeiter, sowie 1800 gefallene Soldaten. Ende März wird die Stadt von den Amerikanern befreit und das Leben nimmt wieder Fahrt auf. 1952 schafft die Phenol Chemie viele neue Arbeitsplätze. Eine erstaunliche Zahl, gemessen an der heutige Zeit: Die Arbeitslosenquote beträgt in diesem Jahr 2,4 Prozent und ist damit die geringste in ganz NRW.

1960 kommt der erste ausländische Arzt ans St. Barbara-Hospital

Dann schwingt sich Marco Spohr in eine Kittelschürze der 1950er Jahre, denn von 1953 bis 1957 wird das Pestalozzidorf errichtet, wo Bergbaulehrlinge gerne aufgenommen werden: „Wir feiern Karneval, aber es wird nicht gesoffen“, ermahnt die „Herbergsmutter“. Die jungen Leute müssten schließlich am nächsten Tag wieder ihren Mann stehen. 1960 kommt der erste ausländische Arzt ans St. Barbara-Hospital und 1967 wird die Zeche Möller/Rheinbaben stillgelegt.

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„Glabotki is nich!“ schallt es am 6. Dezember 1976 durch die Straßen der Stadt, nachdem die Verfassungsklage gegen die Kommunalreform erfolgreich war. 1994 verlieren die erfolgsverwöhnten Sozialdemokraten die Kommunalwahl krachend. Neuer Bürgermeister wird Eckhard Schwerhoff (CDU). Er wird 2004 von Ulrich Roland (SPD) abgelöst. Bis heute folgen die Events zur Kulturhauptstadt 2010, der Ratsbürgerentscheid zur A52 im Jahr 2012, der WDR-2-Tag 2016 sowie in diesem Jahr das Picknick „ganz in Weiß“ und das Appeltatenfest zum 100. Stadtjubiläum.

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Und was wünscht sich das Publikum von seiner Heimatstadt? Marco Spohr macht sich auf die Suche nach Antworten. Die Befragten sind ziemlich zufrieden mit ihrer „Heimat“, wie sie betonen. Klar, dass es ein paar mehr Geschäfte geben könnte, aber insgesamt sei Gladbeck „eine sehr lebenswerte Stadt“, wie Monika Keuterling und Anne Tschurz bestätigen. Das Ehepaar Marlies und Hartmut Grühn sind Neubürger aus Coesfeld und Oberhausen und bringen es auf den Punkt: „Es war interessant, mehr über die Stadt zu erfahren, in der wir uns inzwischen sehr wohl fühlen.“