Stadtarchivarin Katrin Bürgel und Schauspieler Marco Spohr führten zurück in die NS-Zeit. Lokalhistorie wurde lebendig, berührte die Teilnehmer.
Um es vorweg zu nehmen: Das war eine gleichermaßen gelungene Premiere wie auch eindrucksvolle Inszenierung! Das kreative Duo – Gladbecks Stadthistorikerin Katrin Bürgel und der Hagener Schauspieler und Coach Marco Spohr – kam mit seinem Konzept dem Bedürfnis der Zuhörer nach Information entgegen und berührte darüber hinaus auch emotional. Diese Mischung kam gut an.
„Gladbecker Steine sprechen“ war der etwa zweieinhalbstündige Gang betitelt, der rund 20 Interessierte vom Rathaus bis zum Ehrenmal in Wittringen führen sollte. „Auf den Spuren des Nationalsozialismus’“ machte die Gruppe an markanten Bauwerken Halt, deren Hintergrund Katrin Bürgel, Chefin des Stadtarchivs Gladbeck, prägnant erläuterte, bevor Marco Spohr teils aus historischen Quellen und Briefen las, teils Gedichte rezitierte, die das – oft erschreckende – Geschehen hinter den Mauern lebendig werden ließen.
Als die Gruppe den Ratssaal betritt, sitzt dort einer der übelsten Schergen des Nationalsozialismus’ in der Region, der NSDAP-Kreisleiter Gustav Bockermann: in Gestalt von Marco Spohr. Der Schauspieler verkündet mit geradezu diabolischer Freude das 11-Punkte-Programm, das der Rat der Stadt Gladbeck im Jahr 1935 verabschiedet hatte.
Demnach durften jüdische Mitbürger keine öffentlichen Bäder und Sportstätten benutzen, jüdische Kinder wurden aus den Schulen gedrängt, und im Barbara-Hospital wurde ein „Judenzimmer“ eingerichtet.
Im Foyer des Rathauses erwartet die Gruppe ein Opfer Bockermanns und seiner Spießgesellen, der Gladbecker Bernhard Preminger (1921-2006), der als Jude im Jahr 1938 nach Polen abgeschoben wurde und von dort aus in die Sowjetunion gelangte. Seine Eltern wurden ermordet. 1989 entschied er sich zur Rückkehr nach Gladbeck: „Gladbeck ist meine Stadt, ich fühle mich trotz vieler Jahre Exil als Teil von ihr“, schrieb Preminger anno 1990.
Der Schutzraum im Keller des Rathauses lässt Kriegsende und Bombenhagel lebendig werden. Die ehemalige WAZ-Redaktionsleiterin in Gladbeck, Erna Johanna Fiebig (1928-2018), hat die Geschehnisse festgehalten: „Die Innenstadt brannte lichterloh“. Am Ende war die Stadt zu 40 Prozent zerstört, hatten 800 Gladbecker und genauso viele Zwangsarbeiter den Tod gefunden. In die von Michael Jovy (1883-1931) erbaute Villa – das heutige Haus der Volkshochschule (VHS) – zog 1932 Dr. Bernhard Hackenberg, NSDAP-Mitglied und Oberbürgermeister der Stadt, ein.
Ein fanatischer Nazi, der nach 1945 im Zuge der Entnazifizierung zunächst als unbelastet und nach heftigem Protest der Stadtverordneten als „Mitläufer“ eingestuft wurde. Er führte noch über Jahre eine Kanzlei in Bonn.
Weiter geht der Weg zur Polizeiwache, in der die Gestapo saß. Schilderungen über Folter und schwere Misshandlungen, denen u.a. Mathias Jakobs (1885-1935) ausgesetzt war, nehmen die 13-jährige Emily ziemlich mit. Sie ist mit ihrer Oma dabei: „In der Schule erfahren wir das alles nur aus Büchern“, sagt sie sichtlich beeindruckt, „aber hier werden Menschen wieder lebendig. Das interessiert mich viel mehr.“
Ähnlich geht es Uta, Mutter von drei Kindern: „Die Schule müsste den Stoff viel anschaulicher vermitteln“, meint sie. Auf dem Weg zum Ehrenmal in Wittringen kommt die Gruppe am Waldeingang an den Schauplätzen eines ehemaligen Zwangsarbeiterlagers und der Bücherverbrennung von 1933 vorbei.
Mit dem Gedicht „Das Licht leuchtet in der Finsternis“ von Hermann Kesten (1900-1996) findet dieser besondere Rundgang sein Ende: „Denn aus Blut kommt Blut, und nur Geist schafft Geist. Wenn Dummheit herrscht, wird Dummheit Schuld.“