Gladbeck. Gladbecker schreiben zum 100. Stadtjubiläum eigene Geschichten. Die Beiträge zur „Schreibwerkstatt“ spiegeln Lokalhistorie wider.
„Lebensgeschichte ist Stadtgeschichte – Erzähl uns davon!“ Dieser Aufforderung zum 100-jährigen Stadtjubiläum sind bislang rund 40 Gladbecker und Gladbeckerinnen gefolgt. Die Idee zu diesem Schreibprojekt hatten der Gladbecker Rhetorikdozent Leonhard Föcher und Martin W. Schnell, Professor für Sozialwissenschaft und Ethik an der Universität Witten/Herdecke.
In drei Schreibworkshops gab es fast 30 Teilnehmer
Dafür holten sie sich das Literaturbüro Ruhr mit Sitz in Gladbeck ins Boot. Die beiden Initiatoren boten im Rahmen des Projektes drei Schreibworkshops an, deren letzter am vergangenen Samstag stattfand.
„Die erste Etappe ist genommen“, sagt Leo Föcher, „jetzt geht es darum, die Texte noch einmal zu sichten und zu redigieren für die Lesung, am 22. Juni.“ Martin Schnell resümiert zufrieden: „Insgesamt hatten wir in den drei Workshops rund 25 bis 28 Teilnehmer.“
Werke berühmter Autoren dienen als Beispiele
Beim letzten Termin war die Gruppe allerdings überschaubar, was der Intensität der Arbeit jedoch keinen Abbruch tat. Die beiden Dozenten hatten eine klare Struktur für alle Workshops vorgegeben, an der sich die Teilnehmer gut orientieren konnten. Martin Schnell trug jeweils eine Einleitungspassage berühmter Autoren vor, um das Verhältnis zwischen Form und Inhalt eines Textes zu verdeutlichen. Waren es in den ersten beiden Workshops Ralf Rothmann über sein Aufwachsen in Oberhausen sowie Literaturnobelpreisträger Elias Canetti, der seiner Wiener Jahre beschrieb, kam im dritten Workshop der US-amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen zu Wort, um den formalen Ablauf vom Eröffnungssatz, über die Milieuschilderung bis zum Abschluss zu veranschaulichen.
„Das ist die Kunst“, so Leo Föcher, „aus ganz alltäglichen Sachen einen großen Bilderbogen zu machen.“ Martin Schnell ergänzt: „Es kommt nicht so sehr darauf an, was man schreibt, sondern wie man es schreibt.“ Dann waren die Teilnehmerinnen am Zuge, ihre Geschichten vorzutragen. Es sind in der Regel Schlüsselerlebnisse aus dem eigenen Leben, die hier geschildert werden. Alexandra Kura schreibt über ihre Teilnahme am Wettbewerb zur Appeltatenmajestät 2016, in dem sie den dritten Platz belegte, Dorothee Schwers, die Vorsitzende des Gladbecker Hospizvereins, erinnert sich an ihre Kindheit in Gladbeck, in der der Bäcker Jäger eine Institution war, Heike Becker hat eine Liebeserklärung an ihre Heimatstadt Gladbeck verfasst: „Zuhause ist immer nur hier“ und Halina Monika Sega die dramatische Geschichte „Schwiegermutter verschwunden“.
Die Dozenten zeigen sich mit dem Resultat zufrieden
Und das ist der große Bogen, der geschlagen wird: „Wir haben Geschichten aus dem Krieg, vom Bergbau oder aus der unmittelbaren Gegenwart, zum Beispiel von jemandem, der erst vor einem Monat nach Gladbeck gezogen ist“, erzählt Martin Schnell und ist – genau wie Leonhard Föcher – mit den Ergebnissen zufrieden, auch wenn das Niveau „sehr unterschiedlich“ sei.
Ein Wunsch, den Antje Deistler, Chefin des Literaturbüros Ruhr, zum Start des Projekts geäußert hatte, nämlich, dass die „Werkstatt“ den Anlass bieten könne, überhaupt mit dem Schreiben zu beginnen, habe sich nicht erfüllt, sagt Martin Schnell: „Ganz neue Schreiber kriegt man nicht.“