Gladbeck. . Mit sieben verlor Ahasan Habib seine Eltern. Allein macht er sich auf den Weg nach Europa. Seine Flucht endet vor fast vier Jahren in Gladbeck.
Was dieser junge Mann erlebt hat, könnte ein Buch füllen – und keine Zeile wäre langweilig. Ahasan Habib stammt aus Myanmar, dem früheren Burma, ein Land, in dem unter der Militärdiktatur 20 Jahre Bürgerkrieg herrschte, ein Vielvölkerstaat mit ca. 52 Millionen Einwohnern, von denen 88 Prozent buddhistischen Glaubens sind. Ahasan (22) hat eine 12.000 Kilometer lange „Reise“ durch Asien und Europa hinter sich, war mehr als zehn Jahre unterwegs, bis er in Gladbeck ein neues Zuhause fand.
Ahasans Familie gehört der verfolgten muslimischen Minderheit der Rohingya an
Er war gerade mal sieben Jahre alt, als er seine Eltern verlor, erzählt Ahasan Habib. Die Familie gehörte der verfolgten muslimischen Minderheit der Rohingya an, wollte fliehen. „Wir haben uns in den Wirren aus den Augen verloren. Ich weiß bis heute nicht, ob meine Eltern noch leben.“ Andere Verwandte gab es nicht, der Junge beschloss, seine Heimat zu verlassen, nur mit dem Allernotwendigsten im Rucksack.
Mehr als 100 Nationen leben in Gladbeck
In Gladbeck wohnen Menschen aus mehr als 100 Nationen. Zum 100-jährigen Bestehen der Stadt stellen wir einige der Männer und Frauen vor, die hier eine neue Heimat gefunden haben.
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Eher bruchstückhaft erzählt der junge Mann seine schier unglaubliche Geschichte: Das Nachbarland Bangladesh war seine erste Station. Das Kind schlief im Freien, manchmal in einer Bahnhofsmission zwischen Obdachlosen und Prostituierten, sammelte Plastikflaschen, um zu überleben.
Acht Monate saß Ahasan in Pakistan im Gefängnis
In Indien, seiner nächsten Station, schlug sich der Junge mit Kinderarbeit durch, zog nach zwei Jahren weiter nach Pakistan, wurde von der Polizei aufgegriffen, saß acht Monate im Gefängnis. Oft war er zu Fuß unterwegs, manchmal, wenn er etwas Geld verdient hatte, vertraute er sich Schleusern an, manchmal nahm ihn jemand im Auto mit.
Und immer begleitete ihn die Angst vor der Polizei, weil er keine Papiere hatte. Über Iran gelangte Ahasan mit anderen Flüchtlingen nach Griechenland, wohnte in Athen in einem Flüchtlingscamp. „Da waren wir zwar eingeschlossen wie in einem Gefängnis, aber es ging uns gut: Wir hatten ein Bett und immer etwas zu essen.“
Im Oktober 2015 endete seine Flucht in Gladbeck
Über Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich gelangte der inzwischen jugendliche Ahasan nach München. Vom Flüchtlingscamp dort wurde er nach Bielefeld gebracht, dann nach Warendorf, und schließlich gehörte er zu einer Gruppe von Flüchtlingen, die im Oktober 2015 Gladbeck zugewiesen wurde.
„Das war mein großes Glück“, sagt er heute und schaut lächelnd seine „Mutti“ an. So nennt er Marlies Luft liebevoll. Die 73-Jährige wohnt in dem Haus, in dem Ahasan, mit sechs weiteren Flüchtlingen aus unterschiedlichen Ländern, eine Dreieinhalb-Zimmer-Wohnung beziehen konnte. Sie hat sich, gemeinsam mit ihrer Tochter Heike Becker, von Anfang an um die jungen Männer gekümmert und besonders Ahasan in ihr Herz geschlossen. Mutter und Tochter haben den jungen Mann, der mittlerweile dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland hat, quasi „adoptiert“, ihn in ihre Familie aufgenommen und ihm alle Wege geebnet, damit er auf eigenen Füßen stehen kann.
Hoffnung auf eine Ausbildung
Der 22-Jährige ist auf dem besten Weg. Er hat inzwischen eine eigene Wohnung, hat Sprach- und Qualifizierungskurse besucht, mehrere Praktika gemacht und hatte sogar schon mit einer Ausbildung zum Elektroniker begonnen. Er hat sie abgebrochen, „weil es vor allem im Winter fast unmöglich war, jeden Tag mit Bus, Zug und Bahn pünklich nach Bochum zu kommen, von den Einsätzen auf Baustellen in anderen Städten ganz zu schweigen“, erzählt Heike Becker. „Das hat ihn überfordert.“ Aber vielleicht hat der 22-Jährige wieder Glück: Ein ehemaliger Arbeitskollege hat sich in Gladbeck selbstständig gemacht. Bei ihm kann er möglicherweise seine Ausbildung beenden.
Ahasan Habib ist sicher, dass seine lange „Reise“ in Gladbeck wirklich zu Ende gegangen ist: „Ich habe hier so viel Gutes erlebt, habe eine neue Familie gefunden und fühle mich in diesem friedlichen Land sicher. Hier möchte ich bleiben.“
Neben der Ausbildung ist sein nächstes Ziel, den Führerschein zu machen. Und dann gibt es da noch einen großen Wunsch: Mit seiner neuen „Familie“ möchte er Urlaub machen – als ganz normaler Tourist in seine alte Heimat Myanmar reisen.