Gelsenkirchen. Ausgerechnet im Jahr 1938 wagten es zwei junge Männer, eine Buchhandlung zu eröffnen. Es war eine gute Idee mit nachhaltigem Erfolg. Während die Konkurrenz im Umfeld längst die Segel gestrichen hat, berät und bedient die Buchhandlung Junius immer noch erfolgreich lesehungrige Gelsenkirchener.
Es waren zwei junge Herren, die es anno 1938 wagten, sich ausgerechnet mit dem Verkauf von Büchern ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Buchhändler zählten in jenen Jahren noch zu den erklärten Honoratioren einer Stadt: Arzt, Pfarrer, Lehrer, Buchhändler – Frauen waren da eher selten anzutreffen. Josef Kirschbaum und Wilhelm (Willi) Kottmann hießen die Mutigen, die sich am Rundhöfchen niederließen, nahe der Synagoge, die so bald schon brennen sollte.
Bücher waren in jenen Jahren trotz allem (Bücherverbrennung, Vertreibung jüdischer Schriftsteller) ein kostbares Gut. Sie wurden per Post bestellt, der Zug lieferte die Bestellungen binnen einer Woche, was als atemberaubend schnell galt und der Buchhändler holte die Ware selbst am Bahnhof ab. Im Buchhandel bestellte sowohl der Arzt seine Fachliteratur als auch der Schüler und Lehrer die erforderlichen Bücher. Selbstbedienung gab es nicht. Die Regale reichten bis zur Decke, das Gewünschte wurde vom Fachmann dem Kunden präsentiert. Empfehlungen allerdings waren damals deutlich einfacher: es gab VIEL weniger Titel und Autoren.
Nach der Trennung der beiden Gründer überlebten bei Geschäfte bis heute
Über die Kriegs- und direkte Nachkriegszeit wissen die heutigen Inhaber der Buchhandlung Junius, wie sie schon seit der Übernahme 1962 heißt, wenig. Nachforschungen haben bislang wenig ergeben, über Hinweise würden Sabine Piechaczek und Peter Wöhrl sich freuen. Sicher ist, dass sich die Gründer trennten. Willi Kottmann eröffnete in Buer seinen eigenen Laden, das Geschäft am Rundhöfchen in der Altstadt hieß fortan „Neue Buchhandlung Josef Kirschbaum“. Zehn Kilometer Distanz zwischen den Geschäften plus Kanal — das zählte nicht als Konkurrenz, bis heute nicht. Konkurrenz gab es allerdings im Stadtsüden. Den „katholischen“ Buchhandel von Fränzi Wegener, das evangelische Pendant „Matthias“, Minerva, Brockmeier am Bahnhof, die Kunststube Löbe – sie alle haben längst aufgegeben.
1962 übernahm Lothar Junius die „Neue Buchhandlung Lothar Junius“, später „Buchvitrine“, mittlerweile an der Sparkassenstraße. Peter Wöhrl (heute 68) begann 1972 für ihn als Buchhändler zu arbeiten, Sabine Piechaczek (heute 56) begann 1978 ihre Ausbildung hier, nach Abitur und für die Buchleidenschaft abgebrochenem Lehramtsstudium. Der Namensgeber Junius ist mittlerweile verstorben.
Der Schwerpunkt liegt bei der Belletristik – mit zunehmendem Hang zum Krimi
Peter Wöhrl hilft heute als stiller Teilhaber bisweilen im Laden aus, Sabine Piechaczek und ihr Mann Wolfgang nebst vier weiteren Mitarbeitern beraten die Kunden. „Zum Teil schon in der dritten Generation“, freut sich Piechaczek. Das ist ihre Stärke: Die Bindung zum Kunden, das Wissen darum, was er gern liest, das Empfehlungen soviel passender macht. Belletristik ist der Schwerpunkt, davon machen etwa die Hälfte die längst salonfähig gewordenen Krimis und Thriller aus. Fachliteratur ist eher die Ausnahme. „Zum Glück für uns. Denn die wird heute zunehmend direkt beim Verlag bestellt“, ist Piechaczek froh.
Bei den Specials der einstigen Mitbewerber ist Junius in die Bresche gesprungen. Kunstbücher gibt es hier heute ebenso wie religiös geprägte Literatur und Artikel wie Schutzengel.. „Aber wir führen keine Nudeln und Senf“, schmunzelt die Chefin in Anspielung an große Buchhandelsketten mit ihrem riesigen „Non-Book-Sortiment“. Dabei sei etwa die Mayersche gar nicht die größte Konkurrenz: „Das ist klar Amazon. Obwohl die Lieferung nicht schneller ist und unsere Öffnungszeiten besser sind als die der Post, wo man Bestellungen ja abholen muss, wenn das Paket während der Arbeitszeit kam.“
Zum signieren kam die Kaiser-Enkelin ebenso wie Klaus-Peter Wolf
Literatur kennt keinen Feierabend. Und so gibt es bei Junius seit eh und je auch Lesungen nach Feierabend. Michael Klaus und Renan Demirkan haben hier ebenso gelesen wie Klaus-Peter Wolf, der schließlich bei Junius auch als 17-jähriger Schüler seine ersten, selbstgedruckten bzw. kopierten Romanheftchen verkauft hatte.
Anno 1975 aber drohte der Laden gesprengt zu werden. Die Enkelin des letzten Kaisers, Prinzessin Viktoria Louise von Hohenzollern, kam, um höchstpersönlich den neuen Bildband über ihre Familie zu signieren. „Die älteren Herren waren ganz aus dem Häuschen, warfen ihre Gehstöcke zu Boden, um der Prinzessin protokollgerecht ihre Ehrerbietung zeigen zu können,“ erinnert sich Peter Wöhrl.
Lesungen gibt es auch heute noch regelmäßig. Zu Premieren im Buchladen selbst – jüngst erst mit dem WAZ-Autoren Lars von der Gönna – aber auch als begleitender Bücherstand extern bei Großveranstaltungen etwa bei „Mord am Hellweg“ im Musiktheater oder HSH.