Gelsenkirchen. . Auch in Gelsenkirchen laufen den christlichen Kirchen die zahlenden Schäfchen in Scharen davon. Besonders dramatisch sind die Verluste in diesem Jahr bei der Evangelischen Kirche: Schon jetzt haben sich bei den Amtsgerichten mehr Protestanten abgemeldet als im gesamten vergangenen Jahr.

Schon Ende Juli 2014 waren in Gelsenkirchen mehr Evangelische Christen aus der Kirche ausgetreten als 2013 insgesamt: 366 Protestanten kehrten ihrer Kirche stadtweit in 2014 bisher den Rücken, 2013 waren es 355. Dramatisch sind die Verluste vor allem in Buer: 237 in sieben Monaten gegenüber 208 in 2013.

Dabei war auch 2013 nicht gerade rosig in Punkto Mitgliederschwund. Die Katholische Kirche muss ebenfalls erneut auf viele Schäfchen verzichten: 349 sind stadtweit bis Ende Juli 2014 ausgetreten, 418 waren es im Vorjahr. Die Ursachen für die vermehrten Austritte lassen sich indes nur vermuten. Die Kirchensteuer auf Zinserträge trifft nur Gläubige mit mindestens 80 000 Euro Ersparnissen – also eher wenige.

Herausfinden, warum Gläubige der Kirche den Rücken kehren

Sozialpfarrer Dieter Heisig, der den Superintendenten im Urlaub vertritt, geht durchaus von einem Zusammenhang mit der neuen Praxis aus, dass Kirchensteuern auf Zinserträge über der Freigrenze jetzt direkt von Banken eingezogen werden. „Es war vermutlich für viele der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Aber das können wir nur vermuten. Wir versuchen im Kirchenkreis gerade, angemessene Formen der Nachfrage zu entwickeln, warum Menschen unsere Kirche verlassen. Wir verstehen uns als Lernende. Natürlich hat das auch mit der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung zu tun, dem Trend zur Individualisierung. Aber wir möchten es gern genauer wissen.“ Allerdings wird es in der Evangelischen Kirche keinen Grundsatzbeschluss geben, der einheitliches Handeln in den Gemeinden zur Folge hat.

Die katholischen Gemeinden Gelsenkirchens schreiben seit etwa einem halben Jahr den Abtrünnigen Briefe, um zu erfahren, was zur Abkehr geführt hat. Der Rücklauf ist laut Pfarramt sehr gering. Nur in Fällen, wo Frust oder Missverständnisse zum Austritt führten, gab es Reaktionen.

Die Distanz zur Kirche beseitigen

„Es gibt kircheninterne Anlässe wie die Geschehnisse in Limburg und kirchenexterne wie jetzt die Praxis des Steuereinzugs. Aber das sind fast immer nur Anlässe für Menschen, die schon eine große Distanz zur Kirche haben. Das sind keine Ursachen für Austritte bei Christen, die eine Verbindung zur Kirche haben. Wir müssen die Kirche verändern, uns fragen, wie wir diese Distanz beseitigen können“, erklärt Winfried Dollhausen, Sprecher des Bistums Essen, dem Gelsenkirchen angehört. Der Gelsenkirchener Probst Manfred Paas weilt im Urlaub, der neue Probst in Buer, Markus Pottbäcker, ist erst ab September im Dienst, sein Stellvertreter ist im Urlaub – die Kirchenspitze vor Ort ist derzeit verwaist.

Wo die Kirchensteuer vor Ort bleibt

Kirchen kassieren Kirchensteuern – und was haben die Bürger vor Ort konkret davon, die nicht regelmäßig in die Kirche gehen? Hier ein kurzer Überblick über Einrichtungen und Ausgaben der beiden christlichen Kirchen in Gelsenkirchen. Angebote, die übrigens in weiten Teilen nicht nur Mitgliedern zur Verfügung stehen.

Bei der katholischen Kirche wird viel Geld in konfessionelle Schulen gesteckt (über 18 Prozent der Ausgaben) und in Kitas (8 Prozent). Für caritative Angebote werden rund acht Prozent ausgegeben.

Die Evangelische Kirche investiert vor Ort vor allem in Kitas (eine Million Euro Eigenanteil), in soziale Beratungsangebote unterschiedlichster Art von Arbeitslosenberatung über Jugendhilfe bis zur Notfallseelsorge (eine Million Euro Eigenanteil) und 700 000 Euro ins Diakonische Werk mit all seinen Einrichtungen.

Zum Vergleich: Vier Millionen Euro gehen direkt in die Gemeinden, die selbst über die konkrete Verwendung entscheiden.