Gelsenkirchen. Auf 13 Listen kandidieren 51 Bewerber. 27 Mitglieder hat der Integrationsrat. 18 werden direkt gewählt, neun vom Rat nominiert
Wenn Gelsenkirchener Bürger Sonntag ihre Stimme abgeben, könnte der Wahlakt für Migranten besonders zeitraubend werden. Viele der 45622 Wahlberechtigten für den Integrationsrat müssen sich gleich fünfmal festlegen, für wen sie votieren wollen. Neben ihrer eigenen Interessenvertretung entscheiden sie auch darüber, wer in den Rat, wer in die Bezirksvertretung einzieht, wer in Europa die Strippen ziehen kann und vor allem wer als erster Bürger der Stadt das politische Sagen haben wird.
Zum dritten Mal sind Bürger mit ausländischen Wurzeln aufgerufen, mit ihrer Stimme den Wünschen und Forderungen der Menschen mit Migrationshintergrund mehr Gewicht zu verleihen. Vor 12 Jahren starteten viele Kommunen mit Ausländerbeiräten den Versuch für mehr Mitbestimmung. Gelsenkirchen hatte sich vier Jahre später entschieden, einen Integrationsrat zu installieren, dem mehr politisches Gewicht eingeräumt werden sollte.
Interessen auch politisch durchsetzen
Seitdem gehören ihm 27 Vertreter an, von denen 18 direkt gewählt und neun von den Fraktionen entsandt werden. Zwar haben die Beschlüsse des Gremiums nur empfehlenden Charakter, doch sind in der Praxis viele Anregungen von Ausschüssen und anschließend vom Rat als Beschlüsse übernommen worden.
Manfred Fokkink vom kommunalen Integrationszentrum ist angetan vom zunehmenden Interesse der Kandidaten, ihre Anliegen auch politisch durchsetzen zu wollen. Der 59-Jährige, gleichzeitig auch Geschäftsführer des Integrationsrates, hat gemeinsam mit der VHS ein Seminar erarbeitet, um die Kandidaten für ihre zukünftigen Aufgaben zu schulen. „In vier Modulen haben wir in 4 Monaten 23 Teilnehmer auf ihre Aufgaben vorbereitet. In keiner NRW-Gemeinde war die Resonanz größer.“
130 Nationalitäten sind in der Stadt vertreten
Menschen aus 130 verschiedenen Nationalitäten leben in der Stadt. Viele sind in den 67 Vereinen organisiert, die offiziell registriert und vom Integrationszentrum finanziell unterstützt werden. Über die Verteilung entscheidet der Integrationsrat. Brigitte Schneider, VHS-Bereichsleiterin politische Bildung, spürt ein stark gestiegenes Interesse von Migranten, sich zu organisieren und zu qualifizieren.
„Wir wollen den Menschen mit unseren Angeboten zeigen, hier habt ihr eine Plattform.“ Viele Migranten organisieren sich in Senioren- und ZWAR-Gruppen wie auch in der Stadtteilarbeit. Bei der letzten Wahl hatten nur 10 Prozent ihre Stimme abgegeben. Manfred Fokkink hofft, dass die Wahlbeteiligung in diesem Jahr um einige Prozentpunkte klettern wird.
Auch Deutsche mit ausländischen Wurzeln dürfen wählen
Wahlberechtigt für die Wahl des Integrationsrates sind Ausländer, aber auch Deutsche, die außerdem eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzen. Auch Deutsche mit ausländischen Wurzeln, die eingebürgert worden sind, dürfen wählen. Wer als Kind ausländischer Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt im Inland erworben hat, ist ebenfalls wahlberechtigt. Wer wählen will, muss 16 Jahre alt sein und sich mindestens seit einem Jahr legal im Bundesgebiet aufhalten. Wähler müssen mindestens seit 16 Tagen vor der Wahl ihren Hauptwohnsitz in Gelsenkirchen haben. Nicht wahlberechtigt sind Angehörige ausländischer Streitkräfte, Botschafts- und Konsulatspersonal und Ayslbewerber. Für den Integrationsrat kandidieren dürfen Nicht-Deutsche und Deutsche, die mindestens 18 Jahre alt sind und seit einem Jahr in Deutschland leben. Sie müssen allerdings schon seit drei Monaten mit erstem Wohnsitz in Gelsenkirchen gemeldet sein und das passive Wahlrecht haben.
Auf 13 Listen bewerben sich 51 Kandidaten um einen Sitz im Integrationsrat. Als sehr stark eingeschätzt werden die Listen „Deutsch-Türkische Interessen-Bewegung“, die „Integrationsbrücke Gelsenkirchen“ und die „Wählerinitiative NRW – Integrationsliste“. Unterschiedliche Nationalitäten sind auf der SPD-Liste und der Liste „Bürger Bündnis Gelsenkirchen“ vertreten.
Als CDU nahe stehend gilt die Liste „Internationales Union-Forum“. Bewerber mit bosnischen Wurzeln bewerben sich auf der Liste „Zukunft Gelsenkirchen“ um ein Mandat. Die „Orientalische Liste“ repräsentiert die Interessen von Bürgern, die in Maghreb-Staaten beheimatet waren. Auf der Liste „Familien-Union“ kandidieren libanesische Vertreter. Die vier Einzelkandidaten und Kandidatinnen haben türkische, kosovarische und rumänische Wurzeln
„Wir benötigen mehr Verständigung, Solidarität und Freundschaft“
Anca Renn bewirbt sich als Einzelkandidatin um ein Mandat. Als Hauptproblem sieht sie die häufig fehlenden Sprachkenntnisse vieler Migranten. Die 54-Jährige gebürtige Rumänin lebt seit 24 Jahren in Deutschland, ist als Sprachmittlerin immer häufiger gefragt. Die Diplomingenieurin und Bankkauffrau fordert vor allem für die neuen Bürger eine schnelle Vermittlung in Sprachkurse.
Viele seien nicht angemeldet, lebten von Kindergeld, hätten Probleme, eine Wohnung zu finden. Statt „sozialer Ausgrenzung fordert sie eine uneingeschränkte Anpassung an unsere Gesellschaft.“ Ihre Wünsche: „Wir benötigen mehr Verständigung, Solidarität, Freundschaft und eine bessere Integration von Migranten in den Arbeitsmarkt.“ Dabei hofft sie auf eine Erweiterung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Rumänien und Deutschland.
Den Landsleuten helfen
Bahrije Mehmeti kam 1993 aus dem Kosovo nach Gelsenkirchen. Sie hat in der Heimat Jura studiert, ihr Diplom als Juristin wurde nicht anerkannt. „Über eine Pflegeausbildung habe ich hier Kontakt in die Gesellschaft bekommen, eine Heimat gefunden. Seit fünf Jahren arbeitet die 50-Jährige als Honorarkraft für den evangelischen Kirchenkreis, leistet schulische Nachhilfe überwiegend für Migranten.
Kommunalwahlen 2014In albanischen Familien sei es für Kinder sehr schwierig, weil viele Eltern keine abgeschlossene Schulbildung hätten und ihre Kinder deshalb nicht unterstützen könnten. Am Herzen liegt ihr auch die Pflege. „Es gibt viele Probleme durch einen Mangel an Fachkräften. Mehmeti: „Für mich ist es ein besonderes Gefühl und eine Ehre, hier zu leben, arbeiten zu können und akzeptiert zu werden.“ Mit Unterstützung des albanischen Vereins hofft sie, ihren Landsleuten auf dem Weg ins gesellschaftliche Zusammenleben helfen zu können: „Politik liegt mir am Herzen, doch ich weiß, Integration kostet Kraft.“
"Gelsenkirchen ist so bunt"
Ela Yavuz möchte als Einzelkandidatin mithelfen, Vorurteile abzubauen und Menschen zu überzeugen, dass der Begriff ‘fremd macht Angst’ nicht zutreffen darf. Die 39-Jährige ist in Essen aufgewachsen, hat bei der Wirtschaftsförderung viele Kontakte zu heimischen Unternehmen aufgebaut. Sie will sich dafür einsetzen, dass Projekte für Frauen und Kinder entstehen und die Menschen bei interkulturellen Festen Vorurteile abbauen können.
„Gelsenkirchen ist so bunt, ich möchte eine Brücke schaffen und weitergeben, wie wohl ich mich hier fühle.“ Ihr politischer Wunsch: „Schon in Kindergärten muss darauf geachtet werden, dass gutes Deutsch gesprochen wird. Wir müssen Mütter an die Hand nehmen.“ Auf mehr Bildung und Chancengleichheit setzt auch ihre Mitbewerberin Özlem Kaplan (30). Die Wirtschaftswissenschaftlerin glaubt, dass die Anforderungen immer höher werden. „Ich möchte Jugendliche in Schulen ansprechen und ihnen verdeutlichen, was erfolgreiches Lernen bedeutet: dass jeder seine Chance bekommt, etwas zu erreichen und gefördert zu werden.“