Gelsenkirchen. Lieselotte Tigges ließ das Flachdach ihres Ladenanbaus an der Ebertstraße 28 begrünen. In der Innestadt hat sie damit immer noch Exoten-Status. Nächstes Jahr sollen auf 130 qm Fläche Sedum-Pflanzen blühen.

Die 130 Quadratmeter Dachfläche liegen eingebettet zwischen 50er-Jahre Wohnfronten. Ringsum Fensterreihen, ein paar Balkone. Beste Aussichten auf Hinterhof-Alltag. Garagen, ein einsamer Baum, alte Brandmauern und Anbauten teilen sich den Platz hinter Ebert- und Munckelstraße. Zwischen Lichtkuppeln werden im nächsten Jahr Blüten blühen. Fette Henne in sämtlichen Spielarten soll sich breit machen. Die Grundlage wurde Mittwoch von Holger Zwirner und seinen Gärtnern gelegt. Sie begrünten das Dach von Lieselotte Tigges an der Ebertstraße 28.

Ein Tages-Job in vier Etappen: Morgens deckten die Dachbegrüner zunächst die Wurzelschutzfolie auf die vorhandenen Bitumenbahnen und legten die Dachabflüsse an, packten danach eine Vliesdecke obenauf und brachten dann – sieben Zentimeter stark – das Pflanzsubstrat aus Lava und recyceltem Ziegelbruch auf. Es speichert Wasser und sorgt dafür, dass die Pflanzen auch im Sommer allein mit Regenwasser auskommen. Der Aufbau wiegt – nass – maximal 120 Kilogramm pro Quadratmeter. Eine Gewicht, das die Statik des Anbaus nicht an die Grenzen bringen wird. Mit Sprossen und kleinen Topfpflanzen wurde schließlich nachmittags Grün aufgebracht – insgesamt Zutaten für eine extensive, sprich pflegeleichte Dachbegrünung. Der Erhaltungsaufwand ist überschaubar. In der Regel reicht es laut Zwirner „einmal im Jahr zu gucken, ob sich kein Strauchwerk und keine Bäume ansiedeln“.

Maximal 120 Kilogramm pro Quadratmeter

Seit 20 Jahren setzt der Mülheimer Architekt Dachbegrünungen in der Region um. Im Baugebiet am Stadtgarten war er bereits auf diversen Garagendächern aktiv. Der Einsatz in der Gelsenkirchener Altstadt ist dennoch eine Premiere – zumindest nach Einschätzung von Markus Gebhardt.

„Das ist die erste derartige Fläche im Innenstadtbereich, die von einem Privateigentümer begrünt wird“, sagt der Bueraner, der jetzt als freiberuflicher Architekt und Sachverständiger arbeitet. Die Aussage kommt nicht von ungefähr. Zuvor war Gebhardt ab 2009 für gut drei Jahre im Auftrag der Stadt als Modernisierungsberater im Innenstadtbereich unterwegs. 1500 Eigentümer wurden damals angeschrieben. 250 Beratungen hat er in der Folge durchgeführt, in 170 Fällen war Gebhardt zu mehreren Beratungsterminen vor Ort, um mit Hausbesitzern vom Keller bis zum Dach mögliche Maßnahmen für energetische Sanierung und entsprechende Fördermöglichkeiten durchzugehen. Insgesamt, so Gebhardt, gab es in der Folge „rund 100 Realisierungen. Das ging von der Kellerdeckendämmung bis zur Gesamtrenovierung.“ Nur: eine Dachbegrünung war nicht dabei.

Auch Lieselotte Tigges hatte sich anfangs mit dem Gedanken schwer getan, doch Mittwoch war sie vom Ergebnis vom Start weg überzeugt. „Ich würde mich freuen, wenn noch weitere Hausbesitzer nachziehen.“

Ein Beitrag für ein besseres Klein-Klima

"Charisma“ hieß der Laden, der sich an der Ebertstraße 28 mit Mode versuchte. Das Geschäft hat längst geschlossen. Im Dezember wollen die Grünen mit ihrer Geschäftsstelle einziehen. Vermieterin Lieselotte Tigges lässt geradeentsprechend umbauen. Die Grünen ziehen unters Gründach. „Das passt natürlich“, findet sie. Auch wenn ihre Entscheidung, den Anbau begrünen zu lassen, noch vor den Mietverhandlungen fiel.

Überzeugt hat Tigges vor allem, dass begrünte Dächer das Kleinklima verbessern, Staub binden, Schall schlucken und auch Dachflächen abkühlen. „Die Räume heizen sich nicht so auf. Im Sommer wird es dort deutlich angenehmer durch die Pflanzen“, weiß Holger Zwirner. Erfahrungswerte, die auch Markus Gebhardt bestätigt. Trotz Geldern aus Haus- und Hofflächenprogrammen (Gebhardt: noch sind ein paar Fördermittel im Topf“) haben sich die Gelsenkirchener dennoch bislang mit dem ökologischen Umbau aus seiner Sicht schwer getan. Dachbegrüung, das bedeutet in der Stadt auch: dicke Bretter bohren.