Gelsenkirchen.

50 Jahre im öffentlichen Dienst — dieses seltene Jubiläum feiert Gerd Hiller (64), Richter am Sozialgericht Gelsenkirchen.

Vor einem halben Jahrhundert verließ er 1963 nach acht Jahren die Volksschule in Buer und wurde am 1. April als Postlehrling bei der Deutschen Bundespost eingestellt. Es war das Jahr, als der amerikanische Präsident John F. Kennedy Berlin besuchte und im November in Dallas einem Attentat zum Opfer fiel. Im Herbst 1964 übernahm die Post den Bueraner als Beamter des einfachen Dienstes, der Ende März nach 1966 Abschluss der Ausbildung in ein Beamtenverhältnis als Postschaffner endete. Doch Hiller, mit Leib und Seele Zusteller, hörte mit dem Lernen nicht auf.

Einstellungsgrenze für Richter

Nach anderthalb Jahren Wehrdienst in einem Raketenabwehrbataillon der Luftwaffe dauerte es weitere vier Jahre, bis sich der mittlerweile 26-Jährige zum Besuch des Abendgymnasiums entschloss, das er mit 30 Jahren und dem Abitur erfolgreich beendete. Zielstrebig wechselte der Postbeamte zur Uni Bochum, studierte Rechtswissenschaften und legte dort nach fünf Jahren im Oktober 1983 das erste Staatsexamen ab.

Da war er schon 35 und hatte eigentlich die Einstellungsgrenze für Richter schon zwei Monate hinter sich, das Referendariat ab November 1984 und das zweite Staatsexamen aber noch vor sich. Das bestand Hiller am 30. November 1987 und blieb bei seinem Berufswunsch, Richter am Sozialgericht zu werden.

Der damalige Präsident des Landessozialgerichts, Kallrath, setzte sich für den Quereinsteiger ein. Und das war nicht einfach, musste doch nicht nur das damalige Arbeits- und Sozialministerium als Dienstherr zustimmen, sondern auch das Justizministerium und das Finanzministerium wollten gefragt werden. Die Justiz wegen der Überschreitung der Eintrittsgrenze in den richterlichen Dienst und das Finanzministerium, weil der Bewerber von Anfang an aufgrund seines Lebensalters höhere Bezüge bekommen würde.

Eine harte Geduldprobe

Das ließ alles vier Monate auf sich warten. „Eine für mich harte Geduldsprobe“, erinnert sich Hiller. Einen anderen Job konnte er vorübergehend nicht annehmen. Der erlösende Anruf kam im März 1988 und beinhaltete die Ernennung zum Richter mit Abordnung am 28. März nach Detmold. Doch hier hielt es Hiller ab 1991 erst einmal nur anderthalb Jahre. Denn als das Arbeitsgericht an der Bochumer Straße in Personalnot geriet, ließ Hiller sich 1992 und 1993 gut zwei Jahre vom öffentlichen ans zivile Arbeitsrecht „ausleihen“ .

Bei seinem ersten Termin am Arbeitsgericht schaffte es Hiller, in zwei Fällen gekündigte Arbeitnehmer und kündigende Arbeitgeber wieder zusammen zu bringen und protokollierte „Wiedereinstellungsvergleiche.“ Der damalige Arbeitsgerichtsdirektor Rudi Mewes staunte: „Was haben wir uns denn da für Einen geangelt“, äußerte er gegenüber Journalisten.

Die Kollegen an der Bochumer Straße hätten Hiller gern behalten, doch den zog es zurück ins Hochhaus an der Ahstraße in der Altstadt. Hier verhandelte er mit Ausnahme des Krankenversicherungsrechts das komplette Spektrum des Sozialrechts von der Arbeitslosenversicherung bis zur Kriegsopferfürsorge, vom Pflegegeld bis zu Asylbewerberleistungen.

Am 3. September wird Gerd Hiller 65 Jahre alt und scheidet am 30. November als Richter aus. Rückblickend sagt er: „Die jahrelangen, persönlichen Kontakte mit den unterschiedlichsten Menschen beim damals noch persönlichen Auszahlen von Renten und Kindergeld oder dem Einkassieren von Rundfunk- und Fernsehgebühren haben mir im späteren Leben als Richter viel gegeben.“ Den Umgang mit Menschen wird Hiller im Ruhestand weiter haben, ist er doch als ehrenamtlicher Betreuer für Menschen tätig, mit denen es das Schicksal nicht gut meint.