Gelsenkirchen. . Fünf ehemalige Mitarbeiter klagten vor dem Gelsenkirchener Arbeitsgericht gegen Tectum. Das Unternehmen hatte sie entlassen, um aus der Insolvenz zu kommen. Jetzt gab das Gericht den Klägern recht: Tectum hat bei der Sozialauswahl grob fehlerhaft gehandelt.

Wenn entlassene Tectum-Mitarbeiter vor dem Gelsenkirchener Arbeitsgericht auf Wiedereinstellung klagen, bleiben meistens viele Fragen im Zusammenhang mit der Entlassungspraxis des Unternehmens offen. Tectum befindet sich in der Insolvenz, hat sich von über 90 Mitarbeitern getrennt, um wieder auf wirtschaftlich gesünderen Füßen stehen zu können. Jetzt gab die 2. Kammer des Arbeitsgerichts drei Männern und zwei Frauen Recht, die gegen ihre Entlassung geklagt hatten. Die Kündigungen sind unwirksam, Tectum muss alle Kläger bei vollem Lohn weiter beschäftigen.

Grob fehlerhaft gehandelt

Seit Wochen versuchen Gerichte der einzelnen Kammern fast im Tagesrhythmus herauszufinden, ob die Kündigungen plausibel erscheinen. Es geht vor allem um die Sozialauswahl, die das Unternehmen treffen muss, bevor es zu Entlassungen kommt. Die meisten Klägerinnen und Kläger werfen ihrem früheren Arbeitgeber vor, bei der Auswahl nicht nach sozialen Kriterien vorgegangen zu sein.

Das bekamen die fünf Kläger jetzt vom Gericht bestätigt. Jörg K. war in führender Position als Bereichsleiter beschäftigt. Sein Arbeitsbereich sei weggefallen, argumentierte die Rechtsvertretung des Arbeitgebers vor Gericht. Doch sind Bereichsleiter auch heute noch in dem Callcenter tätig. Auch die Sozialauswahl, bei der Mitarbeiter offensichtlich wahllos auf einer „Abschussliste“ standen, war nach Auffassung des Gerichts grob fehlerhaft.

Kranke und Querulanten

So war auf einer internen Liste dokumentiert, nach welchen Kriterien die zu entlassenden Mitarbeiter ausgesucht werden sollten: Häufig Kranke, Querulanten und Leistungsschwache wollte man offensichtlich aussortieren. Kriterien bei der richtigen Sozialauswahl sind Familienstand, Fürsorgepflichten gegenüber Kindern, Dauer der Betriebszugehörigkeit. Die aber waren in den Ausführungen des Arbeitgebers für die Kammer nicht ersichtlich.

Auch konnte der Arbeitgeber nicht nachweisen, dass es keine anderen Mitarbeiter bei Tectum mit vergleichbaren Tätigkeiten wie denen des 46-Jährigen gebe. Das Arbeitgeberargument, der Job von Jörg K. sei einzigartig, konnte das Gericht nicht überzeugen.

Die Leviten las das Gericht dem Unternehmen auch zum Kündigungsverfahren von Norin S. Seit fünf Jahren ist die 27-Jährige bei Tectum beschäftigt, hatte zuletzt als Teamleiterin gearbeitet. Die vorgeschriebenen Kriterien bei der Sozialauswahl hatte Tectum ignoriert. Dass Tectum noch Mitarbeiter suchte, dokumentierte das Unternehmen Mitte Februar auch durch Einladungen zu Bewerbertagen. Der Andrang war groß. Über 50 Interessenten hatten sich gemeldet.

Auswahl nach Nasenprinzip

Durch das betriebsinterne, aber unzulässige Raster fiel auch Uwe E.(52), der seit 17 Jahren bei Tectum arbeitet. Jüngere Mitarbeiter mit kürzerer Betriebszugehörigkeit wurden verschont. Die Arbeit verbliebener Kollegen sei mit seiner Tätigkeit austauschbar, meinte der Netzwerk- und Systemadministrator. Zwingend erforderliche Vergleiche der Sozialdaten von mehreren Entlassungskandidaten hatte das Tectum-Management nicht vorgenommen.

Weiter auf der Tectum-Gehaltsliste wird auch Vanessa K. stehen. Bei der Kündigung der 33-Jährigen war offensichtlich, dass sich hinter angeblichen sozialen Kriterien bei der Auswahl der Kandidaten eher ein Nasenprinzip verbarg: Der gefällt mir, der nicht. Auch Jörg G. hätte nicht entlassen werden dürfen. Er ist mit 39 Jahren nicht nur älter und länger im Job als andere, sondern ist als Vater von drei Kindern auch schutzwürdiger.

Für Tectum könnte es sehr teuer werden. Noch etliche Verfahren stehen aus. Und die Chance, in zweiter Instanz vor dem Landesarbeitsgericht erfolgreich zu sein, ist wohl eher gering.