Gelsenkirchen. Hüriyet Yilmaz hat mit fünf Jahren Schwimmen gelernt. Das ist 36 Jahre her – und für ein Mädchen mit türkischen Wurzeln bis heute durchaus nicht der Normalfall.
Üblich ist es eher, was die heute 41-Jährige, sozialpädagogische Familienhilfe bei der Arbeiterwohlfahrt, in den Sprechstunden der Schalker Nachbarschaft erfährt: Frauen äußern hier häufiger den Wunsch, zum ersten Mal mit einem Bad in Berührung zu kommen und sich im Element Wasser frei bewegen zu können. Und natürlich: Schwimmen zu lernen. Hüriyet Yilmaz ist mit Herzblut Schalkerin.
Ihre Großeltern saßen 1961 in dem ersten Zug, mit dem Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland kamen. Sie ist hier aufgewachsen, mit dem Stadtteil verwurzelt. „Einmal Schalke, immer Schalke“, lacht sie. Und eben in „ihrem“ Schalke hat sie in Gesprächen mit Migrantinnen erfahren, dass der Wunsch nach Schwimmkursen für Töchter aus Migrantenfamilien groß ist.
„Da haben wir uns auf den Weg gemacht.“ Ins „Wir“ bezieht Hüriyet Yilmaz ihre Mitstreiterin Joanna Zielinska ein. Die 46-Jährige, die seit 1999 in Gelsenkirchen lebt, ist Pädagogische Leiterin beim Bildungswerk des Landessportbundes mit Arbeitsplatz bei Gelsensport. Aus den beiden Frauen wurde bei Planung und Durchführung der Schwimmkurse (nicht nur) für Migrantinnen ein starkes Team.
Badbegehung mit den Männern
Aber der Reihe nach: Nachdem im Herbst 2010 der erste interkulturelle Schwimmkurs für Mädchen – mit Erlaubnis der Väter – statt gefunden hat, waren auch die Mütter höchst interessiert. Der erste Schnupperkurs für Frauen war, sagen die beiden Organisatorinnen heute, „eine gigantische Aufgabe“. Was auch auf den kulturellen und religiösen Hintergrund gemünzt ist. Hüriyet Yilmaz schmunzelt. „Wir mussten zuerst eine Begehung mit den Männern machen.“
Und zwar im Lehrschwimmbad der Lessing-Realschule. Die Herren überzeugten sich vor Ort davon, dass das Bad absolut blickdicht ist. Weitere zwingende Voraussetzungen stellte das Duo Yilmaz/Zielinska sicher: Wenn Migrantinnen im Bad sind, dann halten sich nur Frauen, Übungsleiterin einschließlich, hier auf. Die „gigantische Aufgabe“ haben die beiden Frauen gemeistert. Per Mundpropaganda schafften sie mit dem ersten Kurs und zehn Teilnehmerinnen den Durchbruch. Nach knapp drei Jahren gibt es bereits acht Kurse mit insgesamt 60 Teilnehmerinnen.
Und das sind inzwischen nicht mehr ausschließlich Migrantinnen. Auch deutsche Frauen schätzen es, unter sich zu sein.
Einige Frauen sind von Anfang an dabei
Auch für Muslima gilt, beim Schwimmen die üblichen Baderegeln einzuhalten. Sprich Badeanzug oder Bikini nebst Badekappe sind zu tragen. Die Frauen, die Gelsensport-Angebote nutzen, sind zwischen 25 und 67 Jahre alt. Türkische, arabische und deutsche Frauen besuchen die Kurse. „Einige sind von Anfang an dabei“, berichten Hüriyet Yilmaz und Joanna Zielinska.
Inzwischen wird auch eine interkulturelle Gymnastikgruppe angeboten. Die beiden Kursmacherinnen ergänzen sich ausdrücklich. „Die Kontakte von Hüriyet Yilmaz sind gut für das bestehende Angebot“, sagt etwa Joanna Zielinska. „Ohne sie würde das nicht so gut laufen. Sie übersetzt und hilft den Frauen bei der Anmeldung.“ Das Angebot für Migrantinnen wiederum, so die Herzblut-Schalkerin, bedeute auch ein Stück Integration und Teilhabe am Gesundheits- und Sportwesen. Sie betont indes ausdrücklich: „Es ist sehr, sehr wichtig, dass man die Blickdichte immer wieder in den Fokus rückt.“
Im Fokus der Kursmacherinnen stehen neben neuen Kursen auch Wünsche. Einer ist schlicht, würde aber wohl terminliche Organisation erfordern. „Drei bis vier Stunden am Stück Frauenschwimmen im Zentralbad.“ Das wär’s.