Gelsenkirchen.

Das Institut für Stadtgeschichte ist eine anerkannte und angesehene Einrichtung, gerade wenn es um die Aufarbeitung der NS-Zeit innerhalb der lokalen Grenzen geht. Ein Blick auf die Internet-Seiten (www.institut-fuer-stadtgeschichte.de) ist empfehlenswert, um sich mit Ereignissen wie dem Pogrom zu beschäftigen, der am 9. November 1938 auch vor Ort stattfand: die sogenannte „Reichskristallnacht“.

Traditionell organisiert die Demokratische Initiative alljährlich am 9. November zum Gedenken an die Opfer der Nazi-Diktatur einen Schweigezug mit einer Abschlusskundgebung, die dieses Mal von Prof. Dr. Stefan Goch (Leiter des Instituts für Stadtgeschichte) auf dem Innenhof des Polizeipräsidiums moderiert wurde.

Interessante Gesprächspartner

Interessante Gesprächspartner standen dem Historiker dort Rede und Antwort: OB Frank Baranowski, Schalkes Ehrenpräsident Gerd Rehberg, Polizeipräsident Rüdiger von Schoenfeldt und der an der Uni Leipzig lehrende Historiker Prof. Dr. Alfons Kenkmann. Sie alle gewährten Einblicke in die Aufarbeitung der unrühmlichen Vergangenheit. Baranowski, von Schoenfeldt und Kenkmann erinnerten an die Verstrickungen der Behörden. Wie Stadt- und Finanzverwaltungen vor Ort gegen Juden und Regimegegner vorgingen und das Unrecht der Diktatur durchsetzen. Wie Polizisten von den Nazis instrumentalisiert wurden und wahre Gräueltaten begingen, dabei halfen den Holocaust umzusetzen, um nach ihrer Rückkehr nach Gelsenkirchen den Freund und Helfer zu geben.

Szepan profitierte vom Nazi-Regime

Rehberg blickte auf die Schalker Historie und auf die Arena-Eröffnung im Jahr 2001: „Damals wollten wir die Stadionwege nach alten Größen wie Ernst Kuzorra oder Berni Klodt benennen, was wir ja auch getan haben. Bei Fritz Szepan aber haben wir uns dagegen entschieden, weil er vom Nazi-Regime profitierte und ihm nahe stand.“

Der Schweigezug fand am Freitagabend seinen Anfang am alten Friedhof an der Mühlenstraße, auf dem einige jüdische Kaufleute, Opfer der Nazis, begraben liegen. Dort, am Eingang, fand Oberbürgermeister Frank Baranowski klare Worte: „Der Pogrom vom 9. November 1938 war nur möglich, weil zu viele Menschen zu lange geschwiegen haben. Weil sie es zugelassen haben, dass eine Gruppe mit einer menschenverachtenden Ideologie die Macht ergreifen konnte. Weil die Menschen zugesehen haben, wie die deutschen Juden aus der Gesellschaft herausgedrängt und entrechtet wurden. Weil es für viele weitaus einfacher war, die Verbrechen der Nazis geschehen zu lassen oder sich an ihnen zu beteiligen, als Widerstand zu leisten.“

Der Zug durch Buer war ein markantes Ausrufezeichen für die unabdingbaren Werte des Gemeinwesens: für Respekt, Toleranz und Zivilcourage. Gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit. Baranowski: „Dieses öffentliche Statement ist heute so unverzichtbar wie in jedem Jahr.“

Kommentar: Die Erinnerungen wach halten

Über Konzepte zu diskutieren, das ist kein Problem, wenn die Intention einer Veranstaltung durch ihre Neugestaltung nicht verwässert. Schweigend durch Gelsenkirchen zu ziehen, um für Respekt, Toleranz und Zivilcourage in unserer Gesellschaft zu plädieren, ist ein guter, ein angemessener Weg, um an den Pogrom vom 9. November 1938 zu erinnern und daran, dass Deutschland, dass Gelsenkirchen auch im 21. Jahrhundert beileibe keine Nazi-freie Zone ist.

Oberbürgermeister Frank Baranowski betonte in seiner Ansprache am Freitag, dass die Art der Erinnerung kein vorhersehbares Ritual sein oder werden dürfe. Das beinhalte, die Konzeption jedes Jahr aufs Neue auf den Prüfstand zu stellen und zu überlegen, wie das Gedenken facettenreich mit immer neuen Elementen ausgestaltet werden kann.

In Köln etwa gehen sie schon seit 20 Jahren sehr bunt, aber nicht weniger ernst mit dem Thema um. Dort sind Musikgrößen wie die Bands BAP, Bläck Fööss, Höhner und andere auf der Bühne, um gegen den Rassismus zu singen. Als „Aufwärmer“ wird sogar die Endphase des Zweitliga-Fußballspiels 1. FC Köln gegen MSV Duisburg live übertragen.

Nun mag man seine Zweifel daran haben, ob das noch etwas mit Seriosität zu tun hat oder den entscheidenden Hauch zu viel „Event“ birgt. Tatsache aber ist, dass diese Veranstaltungsform die Menschen elektrisiert – telegen aufbereitet für den WDR.

So etwas in Gelsenkirchen durchzuführen, mag den Rahmen sprengen. Die Musik zu nutzen, um alle Generationen anzusprechen und zum Besuch einer solchen Veranstaltung gegen Rassismus zu bewegen, ist jedoch ein Weg, den 9. November 1938 und aktuelle Ereignisse in den Fokus zu rücken.

Vielleicht gibt es ja eine Möglichkeit, um junge, nicht organisierte Leute stärker einzubeziehen und zum Besuch der Kundgebung zu motivieren. Sie wollen vielleicht andere Lieder mitsingen als „Die Moorsoldaten“.