Gelsenkirchen. Mitglieder des Gelsenkirchener Blindenvereins testen die beiden verschiedenen Leitsysteme auf der Probefläche am Neumarkt. Es geht ihnen auch um ein Mindestmaß an Mobilität für den Alltag auf ihren Wegen durch die Stadt.

Klack, klack. Sechs ... acht ... zehn Kugeln rutschen über Pflaster und Spurrillen. Frauen und Männer mit weißen Stöcken sind im Praxistest. Am Neumarkt haben sich Mitglieder des Blinden- und Sehbehindertenvereins getroffen, um sich, wie sie sagen, die Situation vor Ort „anzusehen“ und eine Entscheidung zu treffen. Eine Empfehlung für die Umgestaltung des Heinrich-König-Platzes steht an. Der Besuch auf dem extra angelegten Probefeld gehört dazu. „Gut, dass die Stadt solche Möglichkeit schafft“, sind sich die Blinden einig.

Teilhabe von Anfang an

Teilhabe, das gilt als Anspruch behinderter Menschen ans öffentliche Leben. Teilhabe fängt auch bei der Meinungsbildung an. Zum Beispiel für den Stadtumbau. Konkret: Wie soll der Platz ab 2013 gestaltet werden, damit er möglichst barrierefrei ist? Für Senioren, für Rollstuhlfahrer, für Sehbehinderte?

Allein: Wie so oft im Leben gibt es Vorgaben, aber keine allein selig machende Lösung. Was Blinden nützt wie kleine Kanten zur Orientierung am Übergang von Gehweg und Straße, nervt Menschen mit Rollator vielleicht. Drei Zentimeter Höhenunterschied können für sie eine hohe Hürde sein. Für Behindertenverbände hat das durchaus Konflikt-Potenzial und manche Lager beziehungsweise Mitglieder pflegen eine ausgeprägte Streitkultur.

„Das Metall ist gut"

Also wird am Neumarkt derzeit vom Stadtumbaubüro und den beauftragten Oberflächenplanern getestet, wie taktile Leitsysteme für den zentralen Altstadtplatz aussehen können. Klassisch-konventionell in weiß eingefärbtem Beton, oder edler in Edelstahl mit Strukturoberfläche. Die – in Deutschland so neue - Version stellen sich die Planer für den Platzbereich vor.

Erste Eindrücke? „Das Metall ist gut, es erleichtert akustisch die Orientierung“, sagen mehrere. Allerdings sind bei der weißen Fläche die Kontraste besser“, stellt eine Frau fest. Wer Rest-Sehvermögen hat, befürwortet offenbar eher das alte System. „Was nutzt mir das, wenn alle Sehenden sagen, das sehe aber schön aus und ich als Blinder komme nicht damit klar“, sagt Günter Gajewski, Vorsitzender des Blinden- und Sehbehindertenvereins. Margret Gajewski, seine Frau und ebenfalls vollkommen blind („ich sehe gar nichts“) spürt keine großen Unterschiede: „Vom Tasten her finde ich beide Systeme okay.“

Eindeutige Orientierugsmerkmale sind wichtig 

In unbekanntes Terrain, sagt sie, „wage ich mich alleine gar nicht“. Umso wichtiger sind ihr eindeutige Orientierungsmerkmale für ein Mindestmaß an Mobilität. „Wir bekommen oft von der Bevölkerung Hilfe angeboten, dafür ein großes Lob“, sagen Norbert Raestrup und Dieter Samolak, aber für beide ist Selbstständigkeit eben auch ein „gutes Stück Lebensqualität. Samolak: „Ich muss dann nicht betteln, sondern kann gehen, wenn ich will und Zeit habe.“

Wie schwer selbst alltägliche Wege sein können, erfahren Blinde nahezu täglich. Will Dieter Samolak in die City, müsste er nah der Luitpoldstraße über die Florastraße. Zwei mal zwei Fahrspuren, Busverkehr und Tramschienen würde er kreuzen. Ohne Blindenampel an der Stelle. „Ich komm da nicht rüber, das ist lebensgefährlich.“

Keine Chance gegen den Verkehr

Insgesamt 94 Ampelanlagen stadtweit sind aktuell für Blinde ausgelegt. Taktile Leitsysteme gehören zumindest in Neubauten und an Haltestellen für Bus- und Bahn zum Standard. „Einerseits wollen wir auch, dass die Stadt gut aussieht, aber andererseits müssen wir was haben, mit dem wir umgehen können“, fordert Günter Gajewski vom Blindenverein.

Berend Steensma, als sachkundiger Bürger für die CDU Mitglied im Behindertenbeirat, hat bereits eine Meinung zu den taktilen Edelstahl-Bodenindikatoren – er lehnt sie ab. Denn die an sich arme Stadt messe an diesem Punkt mit zweierlei Maß: Der Erler Marktplatz sei mit günstigen Indikatoren aus Plastik nachgebessert worden, die aufgrund der schlechten Materialqualität bereits Schaden genommen hätten. Für Harald Seelert, stellvertretender Vorsitzender im Beirat, ist die Metall-Version sehr sinnvoll. Sie könnte auch nachträglich aufgebracht werden. Das sei letztlich eine günstigere Alternative, als Bodenplatten auszuwechseln.