Gelsenkirchen. . Gelsenkirchen gegen Leipzig, West gegen Ost. Die ARD trat am Tag der Einheit zum Einheits-Check an. Zwei Testfamilien schauten, wie es sich so lebt hüben und drüben. Zwei Leserbeiräte der WAZ schauten mit.

Hier die schlichte 1960er Jahre Behausung, dort das Jugenstil-Treppenhaus, das in die frisch renovierte Wohnung mit gehobener Ausstattung führt. Hier die irritierte Suche nach der Altstadt, dort der Blick auf herausgeputzte Sehenswürdigkeiten. Hier nette, hilfsbereite Menschen, dort auch. Hier die gebeutelte West-Stadt, dort die Messestadt, die Boomtown aus dem Osten. Hier die großartige Arena, dort... Fehlanzeige. Es ist nicht leicht für Gelsenkirchen, im Städtevergleich mit Leipzig zu punkten. Zumindest, wenn es um Äußerlichkeiten geht.

Da steht wohl allein die Schalker Sportstätte deutschlandweit herausragend da. Und die „inneren“ Werte? Sie boten am Tag der Einheit Stoff für eine ARD-Dokumentation. „Wie weit haben sich Ost- und Westdeutschland 22 Jahre nach der Wiedervereinigung angenähert?“ wollte das Erste wissen und machte den 45-minütigen Fakten-Check mit zwei Familien aus Gelsenkirchen und Leipzig, mit dem großen Geld-Vergleich bei Miete, Nebenkosten, Kita-Gebühren, Lebenshaltung.

Ab in den „goldenen Westen“ – nach Düsseldorf

Die Überraschung für die Testfamilien: Beim Wohnen ist der Sanierungsstand im Osten deutlich über West-Niveau. Bei den Mieten halten sich Gelsenkirchen und Leipzig halbwegs die Waage. Die Nebenkosten sind im Schnitt im Osten etwas höher. Die Preise auf dem Wochenmarkt sind auf vergleichbarem Niveau. Produkte aus der Region gehören in Leipzig zum Standard, für Gelsenkirchener Käufer (zumindest im Filmbeispiel Hassel) ackern die Holländer. Punktsieg für GE: Bei den Kita-Gebühren liegt Gelsenkirchen unter dem Ost-Tarif. Und auch die Einrichtung selbst konnte sich sehen lassen. Am Wiehhagen in der Neustadt drehte das ARD-Team. Erst 2012 wurden die Räumlichkeiten bezogen. „Die ist natürlich sehr neu und vorzeigbar. Aber das gilt eigentlich für alle unsere Einrichtungen“, glaubt Martin Schulmann. „Ich denke, dass Gelsenkirchen sich nicht verstecken muss“, fand der Stadtsprecher. In seinem Check-Fazit sieht er Oberbürgermeister Frank Baranowski in dessen Sicht bestätigt. „Die Förderung nach Himmelsrichtung ist nicht mehr angesagt. An vielen Stellen in Leipzig muss man nichts mehr tun, in Gelsenkirchen dagegen gibt es viele Stellen, die Förderung und Unterstützung brauchen.“

Auf der Suche nach dem „goldenen Westen“ und Stadtflair musste GE dann schließlich passen. Die Leipziger landeten – in Düsseldorf.

Das sagen die WAZ-Leserbeiräte zum Einheits-Check des Ersten:

Dorothea Rudde, Mitglied im Leserbeirat der WAZ - Lokalredaktion Gelsenkirchen.
Dorothea Rudde, Mitglied im Leserbeirat der WAZ - Lokalredaktion Gelsenkirchen. © WAZ FotoPool

Doro Rudde: „Das Fazit für mich nach dem Film war: So, jetzt reicht’s. Dann können wir ja jetzt mit dem Aufbau Ost aufhören und uns wieder um uns kümmern. Den Beitrag habe ich sehr interessiert geguckt. Er wirkte nicht so aufgesetzt, nicht so klischeehaft, eben nicht so nach dem Prekariats-Fernsehen, das man sonst oft von Gelsenkirchen vorgesetzt kriegt. Die Stadt wurde nicht so negativ dargestellt wie das sonst so ist. Auch die ausgewählten Familien fand ich positiv. Dass die Sparkasse als Sehenswürdigkeit herhalten musste, fand ich nicht schön. Und ein paar Sachen hätte man sich sparen können, z. B. die Bilder von der leeren Fußgängerzone. Statt des Ausflugs der Leipziger nach Düsseldorf hätte ich besser gefunden, wenn sie im Ruhrgebiet geblieben wären oder Essen besucht hätten.“

Wolfgang Steffen, Mitglied im Leserbeirat der WAZ-Lokalredaktion gelsenkirchen
Wolfgang Steffen, Mitglied im Leserbeirat der WAZ-Lokalredaktion gelsenkirchen © WAZ FotoPool

Wolfgang Steffen: „Mir war wichtig, dass die Darstellung wahrheitsgemäß war. Das wirkte nicht geschönt, nicht dramatisiert. Da ich Verwandte in Erfurt habe, kenne ich die Situation vor und nach der Wende. Da waren für mich viele Sachen nicht überraschend, außer vielleicht, dass die Kita-Gebühren hier in Gelsenkirchen sogar niedriger sind als in Leipzig. Gut, dass bei Mieten und Lebenshaltung die Kosten mittlerweile ziemlich gleich sind. Bei den Vorurteilen hat mich gewundert, dass die Ostdeutschen glauben, hier wären alle Frauen Hausfrauen. Unglaubwürdig fand ich die Situation in der Arbeitsagentur. Ob das am Fernsehen lag, dass da sofort Stellen angeboten wurden? Wenn man den Aufbau in Leipzig sieht, ist es schon erstaunlich, dass dort Gelder ohne Ende reinfließen und hier geht’s den Bach runter.“