Gelsenkirchen.

„Das bin ich“, sagt Ruth Helwig und tippt mit dem Finger auf ein schwarz-weißes Gruppenfoto. Neugierig schauen auch ihre Sitznachbarinnen auf die Aufnahme aus dem Jahr 1943. Kurze Zeit später packt ihre ehemalige Schulkameradin ein ganzes Album mit zahlreichen vergilbten Fotos auf den Tisch, die weitere unzählige Erinnerungen an die Kindheit in den Kriegsjahren wecken.

Neun „Ehemalige“ der Mädchen-Mittelschule Gelsenkirchen (heute Gertrud-Bäumer-Realschule), die im Jahr 1949 ihren Abschluss gemacht haben, kamen am Dienstag zum Klassentreffen im Waldhaus am Nienhauser Park. Mit Postkarten, Briefen, Bildern und Tagebüchern erinnerten sich die Damen an vergangene Zeiten und ehemalige Mitschülerinnen. „Die meisten haben sich kaum verändert“, erzählt Ruth Selter (82). „Natürlich möchte man wissen, was aus den anderen geworden ist. Hier können wir über alte Zeiten reden und hören, wie es der Familie geht.“

Schließlich teilen die Damen nicht nur Erinnerungen an ihren Schulalltag. Vor allem die gemeinsame Zeit, die sie während der Kinderlandverschickung erlebt haben, hat sie zusammengeschweißt.

Flucht vor den anrückenden sowjetischen Soldaten

Im April 1943 kamen die Schülerinnen ins KLV-Lager in Mariazell. „Wer zur Schule gehen wollte, musste mit. Hier bei uns wurden die Schulen schließlich geschlossen“, erzählt Selter. Auf der Flucht vor den anrückenden sowjetischen Soldaten kamen die Mädchen nach Saalbach. Dort wurden sie zum Teil von ihren Eltern abgeholt. Die Rückreise in den Güterwaggons gestaltete sich bei einer Fahrzeit von fünf Tagen als äußerst schwierig.

„Eigentlich sollten wir nur ein halbes Jahr bleiben und am Ende waren es mehr als zwei Jahre“, erzählt Ingrid Sadra, die das Treffen zusammen mit Ruth Helwig organisiert hat. „Das war schon eine lange Zeit.“

Vom Krieg habe man dort nur wenig mitbekommen, verrät Ruth Selter. „Wir haben durchgehend gelernt und nichts versäumt. Unsere Lehrerinnen waren ja dabei, um uns zu unterrichten.“ Natürlich war aber auch immer die Sorge um die Familie in der Heimat dabei.

Im Laufe der Jahre hat man sich dann aus den Augen verloren. Gerade deshalb hat sich die Damenriege auf das Treffen gefreut. „Manchmal bekommt man Gänsehaut, wenn man über die alten Zeiten spricht“, sagt Ingrid Sadra. „Aber der Gesprächsstoff geht uns nie aus.“