Gelsenkirchen.

Wer liefert künftig den Strom, der aus der Steckdose kommt? In Gelsenkirchen ist dies seit Monaten nicht nur eine wirtschaftliche Frage, sondern auch eine ideologische. Möglich wurde die Diskussion durch das Auslaufen der Konzessionsverträge für die Verteilnetze Strom und Gas zum 31. Dezember 2014.

Es ist der erklärte Wille über mehrere Fraktionen hinweg, beim Energieeinkauf künftig stärker als bisher mitreden zu wollen. In Zeiten der Wende weg vom Atomstrom und hin zu mehr Nachhaltigkeit möchte auch Gelsenkirchen, das seit vielen Jahren im Untertitel das Wort „Solarstadt“ führt, dass Energie, die in der Stadt verbraucht wird, in (nach)wachsenden Anteilen regenerativ hergestellt wird.

Es tobt ein Glaubenskrieg

Den ersten Schritt für die Neuordnung der Versorgung vollzog die Politik Ende Mai dieses Jahres. Damals erhielt die Stadttochter Gesellschaft für Energie und Wirtschaft mbH (GEW) im Vergabeverfahren der Nutzungsrechte für die Verteilnetze Strom und Gas den Vorzug vor der Emscher Lippe Energie GmbH (ELE).

Als nicht unwesentlicher Vorteil wurde gewertet, dass die Netzeigentümerin GEW nun auch die Verfügungsgewalt innehaben würde. Was damit aber längst nicht geklärt war und Gegenstand der aktuellen Findungsphase ist: Wer liefert künftig Strom und Gas und wer kümmert sich um das Geschäft mit den Endkunden? Dieser Prozess hat über die ideologischen Inhalte hinaus eine wesentliche wirtschaftliche Tragweite, die nicht außer Acht gelassen darf. Nach WAZ-Informationen tobt an dieser Stelle ein kleiner Glaubenskrieg.

Im Wettbewerb um die Partnerschaft sind die Gelsenwasser AG und die ELE (als Energieversorger wäre das RWE) im Rennen. Gelsenwasser soll im Angebot nicht die Zahlen erreichen, die RWE Deutschland anbietet. Klar ist aber auch: Beide Bieter liegen unterhalb der aktuellen Ausschüttung in Höhe von 15,01 Mio. Euro pro Jahr durch die ELE an die GEW.

Gelsenwasser offeriert der Stadt allerdings eine 51-prozentige Anteilshöhe in der Partnerschaft und damit die Möglichkeit, das Geschäft künftig tatsächlich mitbestimmen zu können. Die ELE will auf diese Führung nicht verzichten. Gelsenkirchen, Bottrop und Gladbeck würden ihre Anteile auf zusammen 49 Prozent (gegenüber jetzt 21) erhöhen, doch die Entscheidungsgewalt im operativen Geschäft bliebe im Verhältnis 51:49 bei der ELE.

Gelsenwasser-Modell: Der Reiz, selbst zu gestalten 

Wenn die Gelsenwasser AG (auf dem Foto: Vorstand Henning R. Deters) den Zuschlag erhalten sollte, würde das die Gründung eines Stadtwerkes als Tochter der GEW gemeinsam mit Gelsenwasser bedeuten. Die GEW würde 51 Prozent der Geschäftsanteile übernehmen und Anteile an dem Versorger in einer Höhe von 5 bis 10 Prozent erwerben können. Zu den Geschäftsfeldern würden gehören:

Erzeugung und Vertrieb von Strom, Gas und Fernwärme; regenerative Energieerzeugung; der Betrieb von Netzen der allgemeinen Versorgung mit Strom, Gas und Fernwärme; Dienstleistungen rund um die Energie und die Endkunden.

Positiv: Die Stadt könnte tatsächlich bei der Gestaltung der energiepolitischen Zukunft Gelsenkirchens mitwirken.

Negativ: Die Höhe des wirtschaftlichen Angebotes ist niedriger als das der ELE; auch müsste die Frage des Kundenübergangs (juristisch) geklärt werden.

ELE-Modell: Die wirtschaftliche Sicherheit

Die Stadt setzt über die GEW ihre Beteiligung an der ELE (auf dem Foto: Geschäftsführer Kurt Rommel) über den 30. Juni 2013 hinaus fort. Außerdem erwirbt die GEW (wie auch Bottrop und Gladbeck) zusätzliche Anteile von der RWE Deutschland AG bis zu einer Höhe von 16,63 Prozent. Dem Vernehmen nach beträgt der Kaufpreis 25 Mio. Euro. Außerdem erwirbt die GEW einen Anteil an der ELE-GEW Photovoltaikgesellschaft (EGP), die möglicherweise in Stadtwerke Gelsenkirchen Erneuerbare Energien GmbH umbenannt werden könnte.

Positiv: ELE (RWE) zahlt zwar nicht mehr (ganz) so viel wie früher, intensiviert aber in anderen Bereichen sein Sponsoring in der Stadt über das bestehende Maß hinaus (etwa im Zoom); mit dem Anteil an der EGP wird die Umsetzung von Projekten im Bereich der Erneuerbaren Energien möglich.

Negativ: Die ELE behält die Oberhand in der Gestaltung des operativen Geschäftes. In Streitfragen wird die Stadt im Zweifel unterliegen.