Gelsenkirchen. Der Führerschein gilt ein Leben lang. Doch was, wenn das anders wäre? Felix zur Nieden wagte den Selbstversuch bei einer Gelsenkirchener Fahrschule und machte neun Jahre nach der ersten Führerscheinprüfung noch einmal die Fleppe. Das Ergebnis überrascht.

„29.8.03“ - eine ziemlich verblasste Zeile auf der Rückseite des Führerscheins. Die Erinnerung an den Tag ist noch da, an meinem 18. Geburtstag bekam ich vom Straßenverkehrsamt meine Fleppe überreicht. Mindestens so verblasst wie die Schrift ist die ein oder andere Erinnerung an die Anweisungen meines Fahrlehrers. Seit fast neuen Jahren sitze ich nun also schon hinter dem Steuer und bin der Meinung, dass ich ein guter Autofahrer bin. Aber ist das wirklich so? Mehr als 3000 Tage nach meiner praktischen Fahrprüfung habe ich noch einmal die Fahrprüfung abgelegt.

„So, Herr zur Nieden. Dann sagen sie mir doch mal, wie sie überprüfen, ob die Bremsen funktionstüchtig sind.“ Die Anweisung kommt von Volker Kessler. Seit 1995 ist der 42-Jährige Fahrlehrer in Gelsenkirchen und bringt mit seinen Kollegen von der Fahrschule Kessler rund 800 Menschen in Gelsenkirchen und Recklinghausen in jedem Jahr zum Führerschein.

Wir stehen noch auf dem Parkplatz hinter der Fahrschule und noch vor der ersten Reifenumdrehung stockt mir der Atem. „Keine Ahnung“, muss ich kleinlaut zugeben. „Das Bremspedal bei abgestelltem Motor mehrmals durchtreten bis der Bremskraftverstärker nicht mehr wirkt. Dann zünden und erneut die Bremse treten. Mit Bremskraftverstärker darf das Pedal maximal ein Drittel nachgeben“, erklärt Kessler. Vielen Dank, da war doch mal was...

Erste Schramme schon vor der Fahrt

Wenigstens die Frage nach der Nebelschlussleuchte kann mich nicht aus dem Konzept bringen. „Durchgefallen wären Sie jetzt noch nicht, aber ein Prüfer nutzt solche Fragen, um sich ein Gesamtbild vom Prüfling zu machen“, so Kessler. Meins hätte schon jetzt eine Schramme.

Dann geht’s los. Stopp-Schild? Kein Problem. Linksabbiegen mit Schulterblick? Klar! Gelernt ist gelernt. Problemlos geht es über die Ringstraße auf die Hiberniastraße. Da aber die erste Unsicherheit. Erst spät erkenne ich, dass meine Spur nur für Rechtsabbieger ist. Etwas zu hektisch wechsle ich den Fahrstreifen – und ernte den ersten skeptischen Blick vom Beifahrersitz.

Rotthauser, Owerweg- und Florastraße stellen mich vor keine Probleme, bis ich erneut zu spät merke, dass meine Fahrspur nur nach rechts führt. Für einen Spurwechsel ist es zu spät und ab geht es in die Sackgasse. „Naja, macht nichts. Wenden ist als Übung für eine Prüfung ohnehin vorgesehen“, sagt Kessler. Das Wenden ist übrigens kein Problem! Weiter geht’s.

Feldmarkstraße, Hans-Böckler-Alle, Boniverstraße. Hier geht es in eine Parkbucht. Rückwärts, ohne Probleme. Dann aber der K.o. Nr 1. Auf der Küppersbuschstraße gehe ich an zwei Rechts-Vor-Links-Kreuzungen zwar vom Gas, bremse aber nicht. „Die Fahrprüfung wäre jetzt vorbei. Bremsbereitschaft mit dem Fuß auf der Bremse ist das A und O“, macht Kessler deutlich. Mist!

Fuß auf der Bremse ist das A und O

Über die Grothusstraße geht es zur A42, hier knallt es das nächste Mal. Als wir die Autobahn an der AS Bismarck verlassen, bekommt der „Schüler“ die Leviten gelesen. „Ein Prüfer würde da richtig sauer werden. Den Mindestabstand haben sie zu keiner Zeit eingehalten. Das geht so nicht und ist viel zu gefährlich“, schimpft Volker Kessler. Mein Lappen – in unerreichbarer Ferne. Aber damit nicht genug. In der Brunostraße fehlt nach einem Einpark-Manöver beim Ausparken der Schulterblick, an einem Bahnübergang an der Magdalenenstraße schaue ich nicht, ob ein Zug kommt. Für einen Führerschein hätte das lange nicht gereicht.

Und das nach nicht einmal neun Jahren.

Wer einmal den "Lappen" hat, kann ihn ein Leben lang behalten 

Paul Gudat ist 72 Jahre alt und ist sein ganzes Leben lang Auto gefahren. Seinen Führerschein machte er bei der Fremdenlegion in Algerien. Später fuhr er den Chef der Thyssen Schraubenwerke, ging dann zur Polizei und fuhr auch dort Streifenwagen. Und obwohl er die Verkehrsregeln genau kennt und sich für einen „relativ sicheren Fahrer“ hält, ist er dafür, dass sich ältere Menschen regelmäßig der Beurteilung durch einen Fahrlehrer stellt.

Unfälle mit Senioren im Straßenverkehr häufen sich

Unfälle mit Senioren im Straßenverkehr nehmen zu. Doch wer einmal seinen „Lappen“ hat, der kann ihn sein Leben lang behalten. Grundsätzlich hält das Fahrlehrer Volker Kessler für richtig. „Trotzdem wäre es ratsam, eine Grenze zu setzen, ab der sich Fahrer ab einem gewissen Alter in regelmäßigen Abständen einer Begutachtung unterziehen müssen“, so Kessler. In Spanien, weiß der 42-Jährige, gibt es eine solche Überprüfung. „Busfahrer müssen sich auch in Deutschland schon Checks unterziehen.“

Paul Gudat hat neben einer gesetzlichen Bestimmung noch eine weitere Idee. „Vielleicht wäre es möglich, die Hausärzte einzubeziehen. Die sehen die Menschen häufig und erkennen es, wenn jemand abbaut. Sie könnten dann dazu raten, noch einmal in die Fahrschule zu gehen“, sagt der 72-Jährige. Dass jemand von selbst auf die Idee kommt, sich auf die Probe zu stellen, glaubt er nur in den seltensten Fällen. „Das würden doch nur die Fahrer machen, die besonders viel Verantwortungsgefühl haben. Wer gesteht sich schon selbst gern ein, dass er nicht mehr so reaktionsschnell ist, wie er einmal war“, sagt Gudat.

Ärzte raten nur nach medizinische Notsituation zur Überprüfung

„Es kommt heute schon vor, dass Ärzte zu einer Überprüfung raten“, weiß Volker Kessler. Allerdings nur dann, wenn eine medizinische Notsituation, zum Beispiel ein Schlaganfall, vorliegt. Ein solcher Test ist dann eine 90-minütige Fahrt. „Fehlverhalten erkennt man dann. Aber leider kommen maximal 20 Personen im Jahr freiwillig auf die Idee“, so Kessler.

„So lange es nicht Gesetz wird, dass man sich noch mal einer Prüfung unterziehen muss, werden nicht viele kommen. Es würde aber schon helfen, wenn sich alle an §1 der Straßenverkehrsordnung halten, denn da steht: Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht. Jeder Verkehrsteilnehmer hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.“, sagt Paul Gudat.