Gelsenkirchen. . 91 Wege-Kilometer fehlen stadtweit im Radwegenetz, rechnet ein Verkehrsexperte. Politik und Verwaltung streben nun den zügigen Lückenschluss an – und wollen dafür Geld einplanen.
Alles, weiß man ja, ist relativ. Und so können auch Hauptverkehrsachsen, über die täglich zigtausende Autos rollen, durchaus ein Standortvorteil für den Radverkehr sein. Verkehrte Welt? Nicht aus Gutachtersicht. Gelsenkirchen, findet der Aachener Verkehrsplaner Ralf Kaulen, kennzeichne „die Gnade der großen Straßenräume“.
Sprich: was einst für eine 400.000-Einwohner-Stadt in Beton gegossen wurde, bietet heute die Chance, Straßenraum für Verkehrsalternativen zu öffnen. Für Schutzstreifen, Radfahrstreifen oder Umweltspuren kann man aus Kaulens Sicht ohne große Probleme etwas Auto-Raum abzwacken, um das städtische Radwegekonzept in Form zu bringen.
"Fahrradfreundliche Städte sind attraktivere Städte"
Für die Verwaltung hat Kaulens Büro SVK eine Radverkehrsanalyse und einen Maßnahmenkatalog erarbeitet. Das Ergebnis wurde Dienstag der Politik als Teil der Umsetzung der Umgebungslärmrichtlinie und des Luftreinhalteplans Ruhrgebiet-Nord in gemeinsamer Sitzung von drei Ausschüssen vorgestellt. Vertreter von Umwelt, Planung und Verkehr hörten sich den Vortrag an. Und sie hatten über einen SPD-Antrag zu entscheiden, der die Aussagen des Verkehrsplaners und den Arbeitsansatz der Verwaltung geradezu vorausschauend flankierte. Was zumindest den Grünen in der zeitlichen Nähe aufstieß.
„Fahrradfreundliche Städte sind auch attraktivere Städte“, stellte Kaulen fest. Die demografische Entwicklung, aber auch die zunehmende Knappheit fossiler Brennstoffe zwingen aus seiner Sicht dazu, Alternativsysteme zu suchen. Dabei müsse es eine enge Vernetzung von Verkehrsmitteln geben. „Radverkehr und öffentlicher Verkehr“, findet Kaulen, „sind wie Bruder und Schwester.“ Und die kommen in Gelsenkirchen, um im Bild zu bleiben, schon recht verwandt daher.
„Die Stadt“ ist laut Kaulen „schon sehr gut aufgestellt“ und bringe „hervorragende Voraussetzungen“ mit. Infrastruktur mit Verleihsystemen und das – in Ansätzen gute – Radwegenetz, Themenrouten, Wegweisung, aber auch die Einbindung ins landesweite Radverkehrsnetz sieht er als Pluspunkte. Doch hakt es an der Verknüpfung von Alltags- und Freizeitrouten, schnitten der Kanal, Autobahnen und große Industriebereiche durchs Wegenetz, sei die Zentren-Vernetzung nicht optimal.
404 Kilometer Radverkehrsnetz wurden analysiert
404 Kilometer Radverkehrsnetz haben die Verkehrsplaner für ihr Konzept analysiert und entwickelt. Doch nur 108 Kilometer sind tatsächlich auch Radwege und vergleichbare Anlagen. Vielfach werden Wirtschaftswege genutzt – und auf beachtlichen 91 Kilometern klaffen aktuell Netzlücken. Die gelte es zeitnah zu schließen, begleitet von Maßnahmen wie einer erweiterten Wegweisung, Radstationen als Serviceelementen oder einer Kommunikationskampagne.
Passgenau brachte die SPD-Fraktion Montagabend in der Vorbereitung auf die Sitzung ihren entsprechenden Antrag auf den Weg. Sie fordert, „unbedingt und zeitnah vorhandene Lücken im Radwegenetz“ zu schließen, um „attraktive und gefahrlose Radverbindungen zu schaffen“. Damit das keine Absichtserklärung bleibe, so Fraktionschef Dr. Klaus Haertel, „brauchen wir dafür nicht nur ein Konzept, sondern einen ausreichenden Ansatz im Haushalt 2013.“
10 % der Mittel für Unterhalt und Sicherung der Verkehrsinfrastruktur sollen dafür jährlichkünftig eingesetzt werden. Für die Verwaltung eine Steilvorlage. Für sie stehen nun Kostenanalyse und Detailplanung an. Immerhin: für die von Kaulen befürworteten Markierungslösungen im Fahrbahnbereich gibt’s, siehe oben, vielerorts Platz.