Gelsenkirchen. Auferstanden am Jüngsten Tag – Die alttestamentarische Vision des Propheten Hesekiel fand Platz auf einem Kaminsturz im Horster Schloss. Der mächtige Bildkamin blieb im Original erhalten und ziert heute den Trausaal.
Wer hier sitzt, hat anderes im Sinn als den Tod und biblische Visionen. Dieser Saal ist Trauzimmer. Grün gestrichen die geputzen Wände, mächtig hoch mit wuchtigem Gebälk ist das Kaminzimmer auf Schloss Horst ein feines Umfeld fürs Ja-Wort.
Am Fenster leicht aus der Mittelachse gerückt steht der Tisch des Standesbeamten. Neben dem leicht angewelkten Gesteck mit weißen Hortensien haben sich an diesem Morgen drei Paare das Ja-Wort gegeben. Voller Freude und Hoffnungen – im Idealfall bis der Tod sie scheidet.
Baumberger Sandstein
Ob die Brautleute einen Blick hatten für das Vergängliche, für Tod, Offenbarung und Jüngstes Gericht? Sie sind nah – auf dem breiten Kaminrelief. Geschlagen in Baumberger Sandstein in den Frontsturz über der Feuerstelle. Es ist ein bemerkenswerter steinerner Toten-Reigen, der hier über den Stützen mit den kräftigen Löwenkrallen und Fruchtgehängen verewigt wurde.
Schaurige Skelette winden sich, Rippenbögen ragen aus dem Stein, Schädel mit klaffenden Mündern und tiefen Augenhöhlen verbreiten Schrecken, Knochengerüste, die halb mit Haut überzogen sind, zeugen davon, wie Steinmetze die Menschwerdung darstellten. Vier Winde hauchen den Gebeinen Leben ein. Das Haus Israel, am Boden zerstört, erhebt sich wieder.
Ein Auferstehungsmotiv, passend zur österlichen Zeit – aber alles andere als Neutestamentarisch. Nicht Jesus am Kreuz steht im Mittelpunkt. Sondern der Prophet Ezechiel (oder auch Hesekiel), der kniend im Zentrum des Reliefs Platz fand. Seine Vision von der Auferstehung der Toten (Ez. 37, 1-14) am Jüngsten Tag ist bestimmendes Motiv auf dem Prachtkamin, den unbekannte Künstler geschaffen haben. Immerhin: der Auftraggeber ist bekannt.
Rutger von der Horst, der niederrheinische Adelige und kurkölnische Marschall hat sein Renaissance-Schloss mit drei hochherrschaftlichen Kaminen ausstatten lassen. Auf dem Grund einer heruntergekommenen Burg leisteten seine Bauleute unter Leitung von Arnd Johansen, Baumeister aus Arnheim, ab Mitte des 16. Jahrhunderts Aufbauarbeit. Das vollendete Bauwerk hat er wohl noch einige Jahre nutzen und genießen können. 1582 ist Rutger gestorben. In den 1570er Jahren wurde sein Schloss fertiggestellt.
Zugang zum Paradies
Der Kaminsturz ist 2,77 m breit und namengebendes Element des Bildkamins. Doch der hat optisch noch mehr zubieten: Die linke Kaminseite ziert eine Darstellung der Jünglinge im Feuerofen, die – glaubensstark – die Tortur überstehen. Die rechte Seite zeigt König David beim Harfenspiel. Die Frontfläche über dem Sturzrelief ist wie ein dreischiffiger Kirchenraum gestaltet. Adam und Eva als Vollplastiken säumen diesen Zugang zum Paradies. Zentral fand das Motiv eines Gleichnisses aus dem Lukas-Evangelium Platz: Vor dem Altar eines Tempels kniet nah vor Gott der selbstgerechte Pharisäer, während der Zöllner schuldbewusst Abstand hält.
Der Kamin im Trausaal blieb im Original erhalten. Neben dem Rittersaal, weiß Benjamin Bork, Historiker und Museumsmitarbeiter im Haus, „war das Kaminzimmer einst der repräsentativste Raum. Zumindest galt das bis etwa 1609." Dann wurde die Küche aus dem Schlosskeller dorthin verlegt: der Kamin wurde ein besseres Kochfeld – und blieb, erbaulich-schaurig, biblisches Schau-Stück über die Auferstehungs-Vision hinaus.
Ein Vorbild aus der Luther-Bibel
Im Glas-Schaukasten im Kaminzimmer des Horster Schlosses liegt „Die gantze Heylige Schrifft“, in „Teutsch“ von Martin Luther, gedruckt 1565 – die Neuauflage einer Luther-Bibel, die ein Jahr zuvor „samt schönen Figuren“ erschienen war. Für die zeichnete Jost Amman verantwortlich, der die Bibel mit 133 Holzschnitten illustrierte.
Seine Darstellung des Propheten Ezechiel wurde zum Vorbild für das Sturzrelief. Die 11 mal 15,3 cm große Vorlage wurde für die Steinmetzarbeit optisch in die Länge gestreckt. Es ist wahrscheinlich, dass die Luther-Bibel aus dem Besitz Rutgers von der Horst stammte. Erstaunlich: Denn der Schlossherr „war katholisch und treuer Gefolgsmann des Kölner Erzbischofs“.
Seine Offenheit für den Reformator und sein Werk, glaubt der Historiker Benjamin Bork, weise ihn aber auch „als Mann des Ausgleichs“ zwischen den Religionen aus. Bemerkenswert ist auch, dass Rutger den Kamin mit Inschriften in deutscher Sprache versehen ließ. Am Auferstehungsrelief steht: „DIE TODTEN SVLLEN WIEDER LEBEN / GOTT WIRT SIM VOLCK IR SVND VERGEBEN / ALL VNDER EINEM REGIMENT IN CHRISTO DEN MAN DAVID NENNT.“