Gelsenkirchen.
Der Mensch ist sich treu geblieben. Biologisch ist er so ausgestattet, wie seine Vorfahren aus der Steinzeit.
Wenn jener einem Raubtier begegnete, musste er schnell sein. Der erfolgreichen Flucht halfen große Hormonausschüttungen auf die Sprünge. Dieselben Reaktionen finden noch heute im menschlichen Körper statt. Man nennt sie: Stress. Und was damals Leben rettete, kann heute krank machen, lautete die Botschaft beim WAZ-Medizinforum am Mittwoch im Bergmannsheil.
Der Körper reagiert auf jeden Reiz, erklärte Dr. Christoph Haurand, Leiter des Instituts für Stressmedizin. Zunächst schüttet er Adrenalin aus. „Das wirkt wie ein Turbolader.“ Nach nur drei Minuten baut sich der wieder ab. „Dann schüttet der Körper Kortisol aus. Damals, um die Flucht lange aufrecht halten zu können.“ Dieses Hormon baut sich erst nach acht bis zwölf Stunden ab. Reagiert der Körper während dieser Zeit auf weitere Reize, reichern sich immer größere Mengen des Hormons an. Entspannen ist kaum möglich. „Deswegen glauben wir, dass Stress krank machen kann.“
Vielfältige Diagnosemöglichkeiten
Eine viel diskutierte Erkrankung ist das Burn Out Syndrom. Hier stimmt das Gleichgewicht nicht mehr zwischen Anforderungen und Ressourcen. Eine Diagnose ist schwierig, zu wenig ist die Krankheit untersucht. „Trotzdem haben wir eine Vorstellung davon, was passiert“, so der Haurand. Der Mensch will sich, trotz Stress, beweisen, vernachlässigt die eigenen Bedürfnisse, steht ständig unter Zeitdruck, verleugnet seine Probleme und zieht sich zurück. Am Ende stehen ein Gefühl der Sinnlosigkeit, Depressionen und eine manchmal lebensbedrohliche Erschöpfung.
Daneben kann Stress auch andere Krankheiten verursachen wie etwa Depressionen. Und es gibt eine ganze Reihe von psychosomatischen Beschwerden, die oft schon lange in unserer Sprache eine Rolle spielen. „Man spricht davon, dass man sich den Kopf zerbricht oder einem etwas auf den Magen schlägt“, unterstrich Haurand, dass manche Sprichwörter es in sich haben.
So vielfältig die Beschwerden sind, so vielfältig sind die Diagnosemöglichkeiten. Und bei etlichen greift ein weiteres Sprichwort. Nämlich jenes, dass Selbsterkenntnis der erste Weg zur Besserung ist. Das erläuterte Dr. Matthias Weniger, Leiter der Psychokardiologie und „lösungsorientierter Berater“.
"SMARTe" Ziele setzen
Den ersten Schritt zur Stressbewältigung könne man ganz allein gehen, erklärte er. Um zu erkennen, wo genau das Problem liegt, schlug der Arzt vor, eine „Stress-Gedanken-Landkarte“ anzufertigen. „Sinn ist es, dass sie einen Baum haben und der hat verschiedene Äste“, erklärte Weniger, wie man so Probleme immer weiter konkretisieren könne. Steht also als Stressor der Beruf da, solle man definieren, was genau in diesem Zusammenhang die Belastung ausmache.
Wichtig sei es festzustellen, ob es sich bei dem Stressor um ein Problem oder eine Einschränkung handele. Für ein Problem ist eine Lösung denkbar. Für eine Einschränkung nicht. „Man kann ja seinen Chef nicht ändern“, führte Weniger ein Beispiel an. „Also bringt es auch nichts, sich darüber aufzuregen.“
Um die Tage so stressfrei wie möglich zu bewältigen, empfiehlt der Arzt seinen Patienten, sich „SMARTe“ Ziele zu setzen. Hinter dem „S“ verbirgt sich der Begriff „spezifisch“, hinter dem „M“ „messbar“, hinter dem „A“ „ausführbar“. Das „R“ steht für „realistisch“ und das „T“ schlussendlich für „terminierbar“.
Bewegung als Mittel gegen Stress
Ein gutes Mittel gegen Stress sei die Bewegung, sagte Dirk Borow. „Ausdauersportarten wie Walken, Radfahren und Schwimmen eignen sich gut. Wichtig ist, dass mindestens ein Drittel der Muskulatur in Bewegung ist.“ Nur so trete der positive Effekt ein, baue der Körper Stresshormone ab. Das Wohlfühlen stehe aber an erster Stelle. „Zwei, drei Mal in der Woche eine halbe Stunde oder 15 Minuten am Tag“, lautet die empfohlene Dosierung.
Trotz der vielen Information en war das WAZ-Medizinforum für die Besucher alles andere als stressig. Immer wieder brachten die Fachleute humorvolle Ratschläge an. Zum Beispiel den, auf ein gutes Verhältnis zum Nachbarn Wert zu legen. „Denn laut einer Studie leben Menschen, die einen Herzinfarkt hatten aber ein gutes Verhältnis zu den Nachbarn, nach der Erkrankung länger als jene, die immer Ärger mit dem Hausgenossen haben“, sagte Dr. Christoph Haurand.