Gelsenkirchen. . Im Frühjahr wird gezählt. Dann ermittelt die Kreisjägerschaft die Population der Hasen und Füchse in der Stadt. Die Bestandsaufnahme dient der Quote. Der Abschussquote. Oder in Jägersprache ausgedrückt: Sie dient der “Ernte“.
Der Lichtstrahl durchschneidet die Nacht, streicht über struppiges Gras. Stefan Lacher sitzt im Heck des Geländewagens und leuchtet mit seinem Halogen-Handstrahler die Landschaft aus. Vorne hat Michael Sakowski Platz genommen, am Steuer sitzt Reinhard Jäger. Der Wagen schnurrt über einen Feldweg, ringsum macht sich Natur in Sutum und Beckhausen breit. Die Männer sind ein eingespieltes Team. Mehrfach im Jahr sind gemeinsam nachts auf Pirsch. Jäger in ihrem Revier. Auf Hasensuche.
Da, 20, 30 Meter entfernt blicken zwei Knopfaugen ins Licht. „Ein Kaninchen.“ Sakowski hat nicht einmal durch sein starkes Leitz-Glas gespäht. Die Silhouette im Halbdunkel und die Augen haben den Hoppler verraten. „Kaninchenaugen“, sagt er, „strahlen etwas orange.“ Ein paar Meter weiter wird er fündig. Wieder blinkt ein Augenpaar. Diesmal gehört es einem Hasen. Nummer eins an diesem Abend, erspäht nah der Ekhofstraße.
Das Land der Hasen
Eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang sind die Jäger aufgebrochen. Dann, wissen sie, verlassen auch die Mümmler die Deckung und machen sich auf in Flur und Feld. Abendessen vor Industriekulisse. Bei BP setzt die Nachtbeleuchtung die nahen Tanks in Szene. Und dennoch ist das Wild nicht fern. NRW ist Hasenland. Und selbst zwischen Raffinerie und vierspurigen Stadtstraßen finden sie noch Lebensraum. Gebüschränder und Wiesen bieten Deckung und Futter. Monokultur ist der Tiere Tod.
Hasen auf der Spur
Ein Hase streicht sich, verschwindet aus dem Lichtkegel. Der Strahl erfasst bald das nächste Tier. Am Feldsaum hockt er, stellt die Ohren auf. Wieder einer mehr auf der Liste. 19 werden die Männer schließlich am BP-Standort zählen, 32 werden es an Ekhof- und Flurstraße. „Die Hasen sind bei uns recht gut über den Winter gekommen. Das Wetter ist gut, sie können viele junge Hasen machen. Wir haben auch schon einen Junghasen gesehen“, bilanziert Lacher später.
Die Zählerei ist mehr als Bestandsaufnahme (auch wenn die Zahlen seit acht Jahren ins WILD, das landesweite Erfassungssystem für Wildtiere eingegeben werden). Sie dient der Quote. Der Abschussquote.
Die Überhang-Ernte
Die Jäger sprechen, für Laien eher befremdlich, von Ernte. Vom 1. Oktober an bis Mitte Januar dürfen Hasen geschossen werden. „Wir ernten den Überhang“, sagt Lacher. „Die Hasen sterben, ob wir nun jagen oder nicht.“ Spätestens zum Winter reguliert die Natur ohnehin die Bestände. Das Futter wird knapper, die Deckung nimmt ab. So greift der Jäger in die Entwicklung ein. In ganz Gelsenkirchen werden um die 100 Hasen zur Strecke gebracht, in den letzten vier Jahren waren es jeweils zwischen 81 und 130“, rechnet Reinhard Jäger. Zum Vergleich: Jährlich lassen 1300 bis 2500 Kaninchen in Gelsenkirchen ihr Leben. Die Zahlen sind konstant. Die Grundlagen werden jetzt ermittelt. „Wir setzen die Jagd aus, wenn kein Zuwachs da ist. Denn dann haben wir nicht mehr die Ausgangsbasis fürs nächste Frühjahr“, sagt Jäger.
Lepus europaeus, der Feldhase, gilt in Ländern wie Brandenburg und Sachsen-Anhalt als stark gefährdet und steht auf der Roten Liste. Nach dem Tiefstand Ende der 1990er Jahre haben sich die Bestände in Deutschland wieder erholt. Dennoch: Insgesamt ist „die Population rückläufig, weil die Freiräume kleiner werden. Jeder Bauplatz zehrt am Bestand“, sagt Lacher. Und: „Wir haben hier mehr Füchse als Hasen. Der Fuchs ist Opportunist“, als Kulturfolger käme er „fast überall zurecht“. Entsprechend oft nehmen ihn die Jäger ins Visier. 2010 wurden stadtweit 151 Füchse geschossen.
"Es ist Rammelzeit"
Fuchs und Hase sagen sich nicht gerade in Sutum „Gute Nacht“. Im Gegenteil. Sie sind höchst aktiv. Drei bis viermal im Jahr bekommen Hasen zwei bis vier Junge. „Die Hasen sind noch genauso fruchtbar wie vor 20, 25 Jahren“, schätzt Lacher. Und jetzt, um Ostern, sieht man sie auch teilweise tagsüber. „Es ist Rammelzeit. Man sieht Rammler, die treiben oder auf der Suche sind“, sagt Lacher, der mit Sakowski das Revier gepachtet hat.
Rund vier Kilo bringen die Tiere zum Herbst hin auf die Waage. Ein Drittel der gezählten Hasen wird dann die Schrotladung treffen. „Hasen schmecken gut, das ist hochwertiges Wildbret und absolut fettarm. Das ist Ökofleisch pur“, sagt Lacher und weiß, dass solche Aussagen nicht jedermanns Nerv treffen. „Jagd im Ballungsraum ist nicht unbedingt ein Vergnügen. Und mit Jagdgegnern oder Vegetariern braucht man darüber nicht diskutieren.“