Gelsenkirchen. Millionen-Investments und Hightech zum Trotz: Gelsenkirchen verliert einen Großbetrieb. In einer Sparte glimmt aber noch ein Funken Hoffnung.
Hiobsbotschaft vor dem Weihnachtsfest: Das Unternehmen ZF Automotive schließt das Werk in Gelsenkirchen Ende 2024. Das gab der Automobilzulieferer anlässlich einer Mitarbeiterversammlung am Montag bekannt. Die Gespräche am Freitag (8. Dez.) um den Fortbestand des Werkes sind damit gescheitert.
210 Menschen verlieren durch das Aus ihren Arbeitsplatz in der Produktion. Hoffnung gibt es aber noch im Entwicklungsbereich. Würde das Technologiezentrum weitergeführt, behielten 150 Mitarbeitende ihren Job in der Emscherstadt.
Als Grund für die Schließung gibt ZF Automotive an, dass es nicht gelungen sei, Aufträge für das in Gelsenkirchen vorgesehene Zukunftsprodukt, eine Elektrolenkung für Lkw, zu gewinnen. Im Werk an der Freiligrathstraße werden Pkw-Lenkungen sowie hydraulische Lenkungen und Kabelsets für die Nutzfahrzeugindustrie gefertigt.
IG Metall-Sekretär Ralf Goller bezeichnete die angekündigte Schließung als „Tiefschlag für die Belegschaft“. Zugleich kündigte der Gewerkschafter Widerstand an. „So schnell geben wir nicht auf, wir werden dem Unternehmen Alternativen aufzeigen.“ Bevor über Sozialpläne diskutiert werde, so Golller weiter, müsse man darüber reden, Produkte anderer Standorte, an denen sich Überstunden anhäuften, zur Beschäftigungssicherung nach Gelsenkirchen zu holen. „So könnte man zumindest einen Teil der Arbeit hier vor Ort erhalten.“
ZF in Gelsenkirchen: Keine Aufträge für Produktion von elektrischen Lkw-Lenkungen
2018 stand das Werk schon einmal vor dem Aus, damals verloren etwa 240 Menschen ihren Arbeitsplatz bei ZF, als die Produktion verkleinert wurde. Neben der personellen Schrumpfkur verzichteten die Mitarbeitenden auf Lohnbestandteile und Erfolgsbeteiligungen, dazu investierte das Unternehmen rund zehn Millionen Euro in den Stadtort, um das Werk zukunftsfähig zu machen. Der Transformationsprozess sah den Bau eines Tech-Centers für Entwicklungsaufgaben und den Bau von Prototypen vor.
Um die Zeit bis zur erhofften Aufnahme der Produktion von Lkw-Elektrolenkungen ab 2024 zu überbrücken, nahm ZF bis dato nach eigenen Angaben „jährliche Millionenverluste“ in Kauf. Nun laufe der letzte reguläre Produktionsauftrag über Pkw-Lenkungen 2024 aus, für die Mitarbeiter gebe es nicht mehr ausreichend Beschäftigung. „Nachfolgeprodukte konnten nicht gewonnen werden, weil unsere Kostenstrukturen im internationalen Vergleich nicht wettbewerbsfähig sind“, erläuterte Michael Reinhart die Lage, er ist Regionalleiter Produktion Europa der Division Nutzfahrzeuge.
Kampf um Auslastung: ZF-Werke können keine Produkte nach Gelsenkirchen abgeben
Der Option einer Verlagerung von Produkten von besser aufgestellten Standorten nach Gelsenkirchen – eine große Hoffnung der Belegschaft – erteilt das Unternehmen bislang eine Absage. Wie ZF mitteilte, führe die Transformation der Automobilbranche von konventionellen zu elektrischen Antrieben bereits an vielen ZF-Standorten zu geringerer Wertschöpfung und weniger Beschäftigung. „Daher haben andere ZF-Standorte keine in Gelsenkirchen wettbewerbsfähig zu produzierenden Produkte abzugeben, sondern kämpfen teils selbst um eine Auslastung ihrer Produktion“, so Reinhart weiter.
ZF Automotive kündigte am Montag an, mit den Arbeitnehmervertretern am Standort Gelsenkirchen Verhandlungen zu einem Interessenausgleich und einem Sozialplan über die geplante Beendigung der Produktion aufnehmen. Ziel sei es, dabei gute Lösungen für die betroffenen Mitarbeiter zu finden. Als Optionen wurden „Wechsel an andere ZF-Standorte in Deutschland oder zu regionalen Industrieunternehmen im Ruhrgebiet“ genannt. Mit einigen diese Firme stünde ZF bereits in Kontakt.
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Sprechen wird ZF demnach auch über Chancen, das Technologiezentrum in Gelsenkirchen fortzuführen. Käme auch hier das Aus für die 150 dort beschäftigten Mitarbeiter, so fielen dem Aus in Gelsenkirchen insgesamt 360 Mitarbeiter zum Opfer.
ZF hat im ersten Halbjahr 2023 einen Umsatz von 23,3 Milliarden Euro erzielt. Den bereinigten Free Cashflow beziffert der Automobilzulieferer mit minus 525 Millionen Euro – das heißt, die Ausgaben überwogen die Einnahmen. Weltweit beschäftigt das Unternehmen rund 165.000 Mitarbeiter. Es ist an 168 Produktionsstandorten in 32 Ländern vertreten.