Gelsenkirchen-Schalke. Millioneninvestition in Schalke: Die Riesen-„Thermoskanne“ kann mit ihrer Energie 100 Haushalte mit Wärme versorgen – ein Jahr lang.
Es ist ein weiterer Schritt auf dem Weg in Richtung klimaneutraler Heizwärme. Und er wird in Gelsenkirchen weithin deutlich sichtbar sein. Das liegt allein schon an den riesigen Dimensionen dieses Puzzleteils, das eines von vielen in ganz Deutschland ist bei der Transformation der Energieversorgung: 58 Meter hoch, 28 Meter breit im Durchmesser und mit einem Fassungsvermögen von 31 Millionen Litern Wasser. Das entspricht in etwa dem Inhalt von 155.000 Badewannen. Die Rede ist von dem neuen Fernwärmespeicher, der im Schlagschatten des Heizwerks an der Gewerkenstraße in Schalke bald in den Himmel ragen wird.
Kapazität des Fernwärmespeichers in Schalke entspricht dem Jahresverbrauch von 100 Haushalten
Die neue Landmarke reiht sich ein in die beachtliche Anzahl höchster Bauten in Gelsenkirchen. Viel wichtiger ist aber das, was der Wärmespeicher zu leisten vermag. Mit einer Wärmekapazität von 1.050 Megawattstunden könnte er im Bedarfsfall das gesamte lokale Fernwärmenetz im Gelsenkirchener Süden von Iqony etwa ein Wochenende lang mit der erforderlichen Heizwärme versorgen. Im Durchschnitt verbraucht ein Zweipersonenhaushalt etwa 8.000 bis 12.000 Kilowattstunden an Wärme pro Jahr. Übertragen auf den Speicher sind das immerhin rund 100 Haushalte. Potenzielle CO₂-Ersparnis: 3000 Tonnen pro Jahr.
„Fernwärme ist ein Kernelement für das Erreichen einer klimaneutralen Wärmeversorgung, insbesondere von Städten“, ist Matthias Ohl überzeugt, Geschäftsführer der Iqony Fernwärme GmbH. „Der Baustart des Speichers in Gelsenkirchen in den kommenden Wochen, ist ein wichtiger Baustein in unserer Strategie zur Gestaltung der Wärmewende vor Ort.“ Gelsenkirchens Oberbürgermeisterin Karin Welge sieht es ähnlich.
Die Bauarbeiten werden abhängig von der Witterung in diesem Winter Ende Februar oder Anfang März beginnen und voraussichtlich zwei Jahre dauern. Investitionsvolumen: 30 Millionen Euro. Mit insgesamt rund 15 Millionen Euro fördern Land und Bund das Vorhaben.
Investitionsvolumen: 30 Millionen Euro - Schalker Fernwärmespeicher soll 2026 in Betrieb gehen
„Geplant ist, dass der Wärmespeicher im Januar 2026 in Betrieb geht“, sagt Ingenieur Gregor Krampe, der das Projekt bei Iqony Fernwärme verantwortet. Bilfinger Industrial Services aus Österreich wird den neuen Fernwärmespeicher hochziehen. Die wesentliche Herausforderung des Projekts sei es, die Anlage im laufenden Betrieb in das bestehende Fernwärmesystem – immerhin 1480 Kilometer an Rohrleitungen im Revier – zu integrieren.
Nur zu gern würde Iqony (Umsatz 2022: 1,3 Milliarden Euro – eigenständiger Teilkonzern der Steag-Gruppe) sein Netz weiter ausspannen. Aktuell versorgt Iqony rechnerisch 275.000 Haushalte im Ruhrgebiet. Der Ausbau von Fernwärmeleitungen geht allerdings nur langsam voran. 15 Kilometer sind es jährlich nach Unternehmensangaben. Hemmnis für den stärkeren Ausbau seien beschränkte Kapazitäten bei Dienstleistern (insbesondere Tiefbau) und Restriktionen hinsichtlich der Anzahl von zeitgleichen Baustellen und deren Auswirkungen auf den Verkehr. Entstanden ist dadurch ein Flickenteppich mit vielen weißen Stellen in einzelnen Stadtteilen.
Fernwärme ist vor allem in dicht besiedelten Gebieten sinnvoll, beispielsweise in großen Städten. Vorteil: Der Leitungsbau durch den Anschluss von großen Mehrfamilienhäusern amortisiert sich schneller, viele Familien profitieren auf einen Schlag von einem Anschluss und werden gegebenenfalls mit klimaneutraler Heizwärme versorgt.
Ein Nachteil der Fernwärme für Verbraucher besteht darin, dass man seinen Anbieter nicht einfach wechseln kann wie bei Gas und Strom. Deshalb fordern Verbraucherschützer eine bundeseinheitliche, systematische Preisaufsicht, um transparente und nachvollziehbare Preise für die Verbraucher zu gewährleisten.
Potenzial von Fernwärme – noch viel Luft nach oben
Etwa jede siebte Wohnung in Deutschland, also gut 14 Prozent, wird mit Fernwärme beheizt. Die Branche schätzt, dass bis 2050 etwa dreimal so viele Anschlüsse (knapp 43 Prozent) möglich wären, wenn Planungssicherheit und geeignete Förderung vorhanden sind. Die Bundesregierung will den Ausbau vorantreiben.
Warum der Ausbau des Fernwärmenetzes in Gelsenkirchen nur langsam voranschreitet
In diese Zonen vorzustoßen, ist ein wirtschaftliches Wagnis mangels Planungssicherheit und von mehreren Einflussfaktoren abhängig. Lohnenswert, weil mit weniger finanziellen und technischem Aufwand verbunden, ist ein Ausbau vor allem dort, „wo bereits breitgefächerte Netze liegen“, erklärt Matthias Ohl. Im Süden wären das die Stadtteile Ückendorf, Feldmark, Neustadt, Bulmke und Bismarck. Den Gelsenkirchener Stadtnorden versorgt Uniper. Besonders dicht ist das Fernwärmenetz zudem in der Altstadt und Schalke. Müssen hingegen erst kilometerlange dicke Rohrleitungen in ein komplett neues Versorgungsgebiet gelegt werden, von denen dann kleinere Leitungen in die Straßenzüge und Gebäude abzweigen, wird es wesentlich teurer.
Und dann ist da noch die entscheidende Frage, ob überhaupt ein ausreichender Bedarf nach Fernwärme in einem Quartier besteht. Die Novelle des Gebäudeenergiegesetzes hat zumindest dazu geführt, dass sich die Anfragen potenzieller neuer Fernwärmekunden von Iqony „von täglich zehn auf in Spitzenzeiten bis zu 60“ versechsfacht hat.
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Ausbau-Potenzial sieht Iqony „in Schalke-Nord nahe des geplanten Gewerbeparks und in Rotthausen“, so Geschäftsführer Matthias Ohl. Was darüber einmal hinausgehen soll, wird viel davon abhängen, welchen Kurs Städte und Gemeinden bei der kommunalen Wärmeplanung bis zum Fristende Mitte 2026 (für Großstädte) einschlagen. Gelsenkirchen wird dazu zusammen mit den Nachbarn Bottrop und Gladbeck im Sommer 2024 einen Dienstleister beauftragen, die Energieversorgung zu analysieren und Handlungsempfehlungen für einen klimaneutralen Ausbau zu geben.
Klar ist, dem riesigen Speicher in Schalke soll eine zweite Landmarke ähnlichen Ausmaßes nur ein paar Kilometer weiter folgen. Und zwar „in der Nähe des Stadions von Rot-Weiss Essen“, wie Ohl verrät.
Aus diesen Energiequellen stammt die Fernwärme für Gelsenkirchen
Fernwärme wird in der Regel durch Kraft-Wärme-Kopplung erzeugt, bei der neben Wärme auch Strom produziert wird. Beispielsweise in Kraftwerken oder als Abwärme in Industrieanlagen. Hauptsächlich werden Gas und Kohle verbrannt - aktuell in 70 Prozent der Fälle. Nur etwa 17 Prozent der Fernwärme ist „grün“ und stammt aus erneuerbaren Quellen wie Geothermie. Die Heizenergie wird zum Schluss in Form von heißem Wasser oder Dampf durch ein gut isoliertes Leitungssystem zu den Verbrauchern transportiert.
In Gelsenkirchen wird Abwärme genutzt, die im Kraftwerk Scholven (wird ins Uniper Fernwärmenetz im Stadtnorden eingespeist) entsteht respektive bei der Verbrennung von Abfällen in Müllheizkraftwerken RZR Herten und in Essen-Karnap sowie aus dem Gas- und Dampfturbinenkraftwerk Herne von Iqony. Das alte Herner Steinkohlekraftwerk, neben dem das neue Gaskraftwerk steht, dient Iqony zufolge noch als Rückfallanlage, etwa für den Notfall einer Gasmangellage.
Ähnlich sieht es an der Gewerkenstraße in Schalke aus. Auch dieses Heizwerk wird nur bei besonders hoher Nachfrage, bei sogenannter Spitzenlast, benötigt. Heizöl als Energieträger steht dazu in einem riesigen Tank bereit. „Denkbar wäre in Zukunft auch Wasserstoff“, blickt Iqony-Geschäftsführer Matthias Ohl voraus. Aber auch dazu braucht es konkrete Entscheidungen und eine entsprechende Infrastruktur. Gelsenkirchen bewarb beispielsweise zuletzt mit „Gelsenkirchen ist Wasserstoff-Hotspot“ die „langjährige Wasserstoffkompetenz“ von Wirtschaft und Wissenschaft vor Ort, die Stadt ist aber noch nicht Teil des jüngst erst vorgestellten überregionalen „Wasserstoff-Bündnisses“, zu dem Duisburg, Essen, Bochum, Dortmund und Hamm bereits gehören.